literatur

Märkische Allgemeine 31.07.2016 Theatersommer feiert 20 Jahre

Vor 20 Jahren war Netzeband ein verschlafenes Dorf kurz nach der Wende. Heute hat es sich einen Namen in der Brandenburger Kulturlandschaft gemacht: mit dem Theatersommer, der vom ganzen Dorf mitgetragen wird. Und der Jahr für Jahr mit spannenden Inszenierungen und der einzigartigen Form des Synchrontheaters Gäste – auch von weither – anzieht.

„Anfangen, wo es anfängt“, so lautet die erste Zeile aus Dylan Thomas’ „Unter dem Milchwald“ – dem Kultstück des Netzebander Theatersommers. Die Zeile hat Symbolkraft – am Freitag ging es zurück zu jenen Anfängen, als aus dem verschlafenen Temnitzdörfchen das Theaterdorf entstand, das jeden Sommer – seit nunmehr 20 Jahren – Besucher von nah und fern anzieht. Mit immer wieder spannenden Inszenierungen in lauschiger Naturkulisse des Gutsparkes, dank großer Stimmen vom Band, dank expressiver Masken und der einzigartigen Form des Synchrontheaters. Am Freitag feierten das Theaterteam und Netzeband mit einem Festakt das 20-jährige Bestehen des Theatersommer

Kulturstaatssekretär Martin Gorholt bei seiner Ansprache

Kulturstaatssekretär Martin Gorholt bei seiner Ansprache.

Quelle: Regine Buddeke

Unter den Gästen waren der Kulturstaatssekretär Martin Gorholt, der Vize-Landrat Werner Nüse, die Amtsdirektorin Susanne Dorn und der Bürgermeister Johannes Oblaski. Und als heimliche Hauptpersonen Horst und Johanna Wagenfeld: die Gründer des Theatersommers. Angefangen hat alles damit, dass das Ehepaar Wagenfeld – er Landschaftsplaner, sie PR-Frau – sich in Netzeband verliebten und die marode Kirche kauften, die damals dem Abriss entgegendämmerte. Das Paar wollte etwas Neues anfangen – mit der Kirche und einem Grundstück, dass sie zu den „Märkischen Höfen“ ausbauten.

Andreas Klein (l) und Uschi Schneider lesen aus Christhard Läpples (M) neuem Netzeband-Buch

Andreas Klein (l.) und Uschi Schneider lesen aus Christhard Läpples (M.) neuem Netzeband-Buch.

Quelle: Regine Buddeke

Der Teilzeit-Netzebander Christhard Läpple, Autor, Journalist und Leiter des ZDF-Kulturmagazins „Aspekte“, hat recherchiert und die Geschichte aufgeschrieben – im Februar soll „Soviel Anfang war nie“ erscheinen. Einen Vorgeschmack geben die beiden Netzeband-Schauspieler Uschi Schneider und Andreas Klein, die vorab drei Kapitel aus dem Buch vorlesen: mit wortgewitzten plastischen Bildern lassen sie den Tag auferstehen, wo die Blumenthals – wie sie im Buch heißen – das Dorf und die Kirche erstmals sahen: „eine Sackgasse im Nirgendwo“, die irgendwie „wie ein Stück Nordkorea“ anmutete. Und in der eine Ruine stand, aus der Birken wucherten. Und die für eine symbolische Mark den Besitzer wechselte, weil die Gemeinde den Abriss nicht bezahlen konnte. Sanieren war der erste Schritt – mit Leben füllen der zweite. Die gut 80 Gäste in der Kirche lauschen den Anfängen, als ein weiterer Mann mit Visionen in Netzeband auftaucht: Jürgen Heidenreich, der den „Milchwald“ inszenieren wollte und das Dorf einlud, gemeinsam 53 riesige Puppen zu bauen: aus allem, was Kleidertonne und Sperrmüll hergaben. Und die heute noch das Publikum begeistern. Der Theatersommer war geboren – auch dank der Visionen von Frank Matthus, dem langjährigen künstlerischen Leiter des Theatersommers, der etliche Inszenierungen in Netzeband stemmte, die Texte dafür umschrieb, Schauspieler anwarb und Laien aus der Region, die Jahr für Jahr in die großen Rollen hineinreifen und aus Netzeband nicht mehr wegzudenken sind – legendär sein „Macbeth“ und die Nibelungen-Trilogie.

Mehr Aufklärung, bitte! „Tatort: Schlachtfeld“ im Hans Otto Theater

POTSDAMER NEUESTE NACHRICHTEN 04.01.2016

„Deutschland hat Russland den Krieg erklärt. – Nachmittags Schwimmschule“, notierte Franz Kafka am 2. August 1914, dem Tag der deutschen Mobilmachung, in sein Tagebuch. Der Erste Weltkrieg veränderte Europa grundlegend und wirkt bis heute nach – und war am gestrigen Sonntag in der Reithalle des Hans Otto Theaters das Thema, als im Rahmen des vierjährigen Projektes „100 Jahre Gegenwart“, das vom Berliner „Haus der Kulturen der Welt“ initiiert wurde, eine Schauspielerlesung und ein Expertengespräch stattfanden. „Tatort: Schlachtfeld“ titeln die Veranstalter in bester Krimimanier, und so ganz weit hergeholt ist die Tatort-Allegorie auch gar nicht, von Rostock bis München werden die TV-Kommissare bundesweit auf die Bühnen geholt. Auch hier in Potsdam: Jörg Schüttauf war von 2001 bis 2010 Tatort-Ermittler Fritz Dellwo in Frankfurt an Main, Maria Simon übernahm 2011 die Rolle der Polizeiruf-110-Ermittlerin Olga Lenski, mittlerweile in Frankfurt an der Oder.

Literarische Momentaufnahmen zeugen von einer Kriegsbegeisterung, die uns heute befremdlich erscheinen sollte, wenn sich nicht bisweilen, 100 Jahre später, eine seltsame Parallelität entwickeln würde. „Langweilig!“, begehrte etwa Georg Heym 1910 auf, „Warum ermordet man nicht den Kaiser oder den Zaren?“ Gerade die geistige Elite erfasste der Kriegshunger, Ernst Lissauer, den Stefan Zweig als „der preußischste Jude, den ich kannte“ beschrieb, verfasste gar einen „Haßgesang auf England“, den Schüttauf lakonisch vortrug. Die Kriegsbegeisterung, die den Frühexpressionismus charakterisierte, kippte jedoch schnell ins Gegenteil, gerade Künstler, die enthusiastisch in den Krieg zogen, kehrten entweder gar nicht oder als Pazifisten zurück: „Wann hat dieser Scheißkrieg ein Ende?“, notierte Ernst Jünger 1917 in sein Kriegstagebuch. Und als Schüttauf aus Erich Maria Remarques „Im Westen nichts Neues“ von der Gnadenlosigkeit eines Giftgasangriffs las, musste Simon erst durchatmen, bevor sie ihren Text beginnen konnte.

„Vielen war die Kriegsbegeisterung später peinlich“, sagte Ernst Piper, Privatdozent an der Universität Potsdam und Autor des Buches „Nacht über Europa: Kulturgeschichte des Ersten Weltkriegs“, im anschließenden Gespräch mit ZDF-Moderator Christhard Läpple und dem Linke-Politiker Norbert Müller. Aber diese Euphorie, dieser Patriotismus waren kennzeichnend für den Aufbruch in die Moderne, so Piper, der selbst als „Jung-68er“ den Kriegsdienst verweigert hat. Sein Großvater, der Gründer des Piper Verlages, habe mit Bildbänden über das Kriegsgeschehen sogar gut am Krieg verdient. „Ich kann nicht mit Ordensträgern in der Familie dienen.“ Ganz anders Norbert Müller: Der Bundestagsabgeordnete kommt aus einer Soldatenfamilie, sein Vater war Offizier – und er selbst bekennender Pazifist. Seitdem er 1999 als 13-Jähriger mitbekam, wie die ersten Tornado-Jets vom Flughafen Rostock-Laage aus gen Balkan starteten, lehne er militärische Gewalt kategorisch ab. Und Müller sah diese Ablehnung schon damals bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs: „In den Arbeiterfamilien gab es eine Resistenz, die Begeisterung war mehr bei der geistigen Elite zu finden.“

So weit weg sei der Erste Weltkrieg heutzutage jedenfalls nicht, da waren sich beide recht einig – auch wenn die Europäische Union 2012 den Friedens-Nobelpreis verliehen bekam. „Völlig zu Unrecht“, sagt Müller, aber für harte Worte ist der Politiker ja bekannt, seitdem er 2014 den Deutschen Bundespräsidenten Joachim Gauck als „widerlichen Kriegshetzer“ bezeichnete und dafür reichlich Schelte kassierte. Wie er denn heute dazu stehe, wird er von Moderator Läpple gefragt. „Ich hätte widerlich durch gefährlich ersetzen sollen“, ist die Antwort. Die EU schotte sich ab und rüste sich hoch, dabei werde der Krieg außerhalb Europas getragen, nach Mali etwa. Es gebe eine „Enttabuisierung des Militärischen“, die ihm Sorge bereite, und für die gerade Gauck sinnbildlich stehe.
Doch da hält Historiker Piper dagegen: So wenig Rüstung hatte Deutschland noch nie, er sehe eher den erstarkenden Nationalismus als europäische Bedrohung, die Europabegeisterung nehme ab, das alles spiele doch der Putinschen Politik in die Hände. „Brauchen wir mehr Europa oder fallen wir zurück?“, fragt Läpple zum Abschluss. „Keiner will einen Krieg auf europäischem Boden“, bilanziert Piper. „Die Frage, ob wir mehr Europa brauchen, müsste eigentlich anders lauten“, sagt Müller. „Nämlich ob wir mehr Aufklärung benötigen.“   Oliver Dietrich

 

 

 

Volksstimme Magdeburg

Von Hoffnung und Engagement
15.01.2015 02:04 Uhr

„Die Festrede gestaltete sich als kleine Lesung. Christhard Läpple, Fernsehjournalist und Autor, blickte auf den Beginn des Einigungsprozesses zurück. In kleinen Miniaturen fasste Läpple Vorurteile, Hoffnungen, Verwirrungen der Anfangsjahre nach der Wende zusammen. Die Protagonisten aus einem kleinen Dorf bei Neuruppin stehen dabei für viele Erfahrungen, die die Deutschen miteinander und übereinander sammelten.

Der viel in der Welt herumgekommene Läpple stellte seine launige Rede unter einen Satz, mit dem Tschechiens Präsident Vaclav Havel 1990 vor US-amerikanischen Politikern Aufmerksamkeit erregte: „Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht.“

Süddeutsche Zeitung

10.01.2012

Kennen Sie Faust?
„Unser Ziel heißt Erneuerung“: Redaktionsleiter Christhard Läpple will das ZDF-Magazin „Aspekte“ verändern

CLAUDIA TIESCHKY

Es soll wärmer werden. Wenn Fernsehleute solche Wünsche formulieren, dann heißt das sogar im dunkelsten Winter meist nur, dass wieder mal eine Sendung marktgängiger werden soll. Was normalerweise kein Zeichen für Fernsehqualität ist, sondern für Verflachung.

Wärmer werden soll nun auch Aspekte, das Kulturmagazin des ZDF am späten Freitagabend, das zuletzt mit immer weniger Sendungen immer später kam und nun neue Moderatoren, einen neuen Redaktionsleiter und eben im März auch eine neue, wärmere Studiokulisse erhalten soll. Und eigentlich muss man fürchten, wieder mal ein Beispiel geliefert zu bekommen, wie das öffentlich-rechtliche Quotenfernsehen seinen Auftrag selbst zerlegt, indem es Bildungsinhalte erst an Programmränder schiebt und sie dann dort verseichtet, damit überhaupt noch jemand zuschaut.

Wenn man sich in diesen Tagen mit Aspekte-Chef Christhard Läpple unterhält, dann trifft man einen, der sich in diesem Punkt wenig Illusionen machen dürfte, aber große Erwartungen hegt. Die Gesellschaft, sagt er, sei so fragmentiert, „dass sie in Teilgesellschaften zerfällt. Das, was früher das Integrationsfernsehen leisten konnte, einen Gesprächsfaden zu haben und die Gesellschaft zu führen, ist heute nur noch in wenigen Bereichen möglich. Kultur ist einer davon.“ Höher kann man die Forderung an eine Kultursendung kaum legen, man könnte das schon eine Rundfunk-Utopie nennen. Und ähnlich klingt es auch, wenn Läpple mit Blick auf den Bildungsauftrag davon spricht, Aspekte müsse „genaugenommen altmodischer und zugleich wieder moderner werden“.

Man kann das so interpretieren, dass ihm sehr bewusst ist, dass man von ihm stabile, wenn nicht wachsende Zuschauerzahlen auf dem späten Freitagsplatz erwartet, wenn viele Menschen fernsehen, aber Unterhaltungsendungen wie die NDR-Talkshow eine starke Konkurrenz sind. Trotzdem entzieht er sich etwa dem typischen Buhlen um junges Publikum („Das Ziel heißt nicht Verjüngung, unser Ziel heißt Erneuerung“) und erklärt stattdessen, Aspekte müsse sich darum kümmern, „dass sowohl die Handarbeitslehrerin als auch der Oberstudienrat als auch der Bildende Künstler als auch der lesende Busfahrer bei uns jederzeit etwas lernen oder erfahren oder sich unterhalten kann“ .

Dabei hat Läpple, 53, immer eher Projekte betrieben, bei denen man schwerlich naiv bleiben kann. Und auch die Tatsache, dass ihn das ZDF bislang nur kommissarisch zum Aspefete-Chef machte, wirkt nicht gerade wie ein Bekenntnis zu der Sendung, die seit 46 Jahren der Ort für die Kultur im Zweiten ist. Läpple war letzter DDR-Korrespondent des ZDF und hat die Stasi- Verstrickung am Lerchenberg in einem Film aufgearbeitet, um den es Streit gab, kurz vor Ausstrahlung musste korrigiert werden. Man kann wahrscheinlich sagen, dass Läpple auf konstruktive Art unversöhnt mit dieser Arbeit war, zwei Jahre später erschien sein Buch Verrat verjährt nicht, in dem er auch Stasi-Täter befragte.

Redaktionsleiter bei Aspekte wurde er im Juli, als Vorgänger Wolfgang Herles zur neuen Literaturredaktion wechselte und das Büchermagazin Das blaue Sofa erhielt. Seither hat Läpple experimentiert und von der Sendung redeh gemacht, als er Gastmoderatoren wie Anke Engelke verpflichtete. Im Juli schickte er Thilo Sarrazin nach Kreuzberg und im November fuhr der deutschbengalische Schriftsteller Steven Uhly nach Jena und sagte dort, er habe Angst, sich in Ostdeutschland zu bewegen. Wenn das als Provokation gedacht war, ist sie gelungen. Experimentiert wurde auch beim Format mit seinen vier bis fünf Beiträgen pro Sendung. Möglich sein soll hin und wieder einen langer Elf -Minuten-Beitrag. Der „sportliche journalistische Ehrgeiz“, sagt Läpple, bestehe darin, „möglichst ein Thema pro Sendung zu haben das einen völlig anderen Zugang bietet, im Sinn einer klassischen Magazinform. Denn ich glaube an das Magazin.“

Am 13. Januar wird auch Veränderung sichtbar, wenn Moderatorin Katty Salie zum ersten Mal dabei ist. Luzia Braun, die bisherige Präsentatorin, ist stellvertretende Redaktionsleiterin. Von der Mischung einer Moderatorin Mitte Dreißig und der Erfahrung einer Redaktion im Alter über fünfzig verspricht sich Läpple viel. „Wenn Sie pädagogisieren“, weiß er auch, „scheitern sie meistens, aber da haben hier fast alle ein altmodisches Bild noch, ein romantisches Bild des 20. Jahrhunderts“ , es sei einfach nicht schlecht, “ wenn Leute noch wissen, was ein gewisser Faust war. Oder der Freiheitsbegriff bei Schiller.“ Wärmer darf es natürlich trotzdem werden, bei Aspekte.

 

 

Muss auch mal Schluss sein?

Unser Kolumnist fragt sich, ob er in der DDR bei der Stasi gewesen wäre von 

Ich saß mit einem Kollegen, den ich mag, in einem Café in der Oranienburger Straße, und wir redeten, fast zwanzig Jahre nach dem Fall der Mauer, über die DDR. Der Kollege war schon in der DDR Journalist. Ich erzählte über ein Buch, in dem ohne Anklageton und geradezu einfühlsam die Lebensläufe von sieben Stasimitarbeitern beschrieben werden. Bei der Lektüre habe ich begriffen, dass ich, als DDR-Bürger möglicherweise, wenn nicht sogar wahrscheinlich, IM oder Stasimitarbeiter gewesen wäre. Ich kann schlecht Nein sagen. Ich bin ehrgeizig und kein Rebell. Ich war lange Zeit irgendwie für den Sozialismus. Alles passt. Der Kollege fragte, mit unterdrückter Schärfe in der Stimme: „Ist der Autor aus dem Westen oder dem Osten?“

Als ich „Westen“ sagte, war für ihn der Fall erledigt, das konnte kein gutes Buch sein. Der Kollege sprach darüber, wie kompliziert das Leben in der DDR gewesen sei, dies werde heute alles viel zu sehr vereinfacht. Es müsse auch endlich mal Schluss sein mit dem Stasithema. Ich sagte, dass ich ungefähr das Gleiche als junger Mann von meinen Verwandten gehört habe, die in der Nazizeit dabei waren. Ihr wisst gar nicht, wie das war, ihr habt keine Ahnung, ihr wart nicht dabei. Am allerhäufigsten aber hörte ich den Satz, dass endlich mal Schluss sein muss.