„Sprechen Sie mal lauter!“
Natürlich hatte ich Herzklopfen. Was frage ich wann und wie? Womit beginne ich? Was, wenn er mir sein Missfallen im berühmt-berüchtigten Oberlehrerton kurz und knapp überbrät? Mich korrigiert, zurechtstutzt, in Einzelteile zerlegt. Der Feldwebel, der Macher, kurzum der Mann mit der gefürchteten Schmidt-Schnauze. Schon zu Lebzeiten eine Legende. Helmut Schmidt. Bundeskanzler, Welterklärer, Bach-Liebhaber und leidenschaftlicher Raucher.
Als Schmidt im noblen Hotel Vierjahreszeiten an der Hamburger Binnenalster zum Interview im Rollstuhl vorgefahren wurde, zogen die feinen Hotelgäste den Hut, raunten, blieben ehrfürchtig stehen, grüßten. Einige verneigten sich wie vor einem leibhaftigen König. Das Personal hatte an jeder möglichen Ecke überdimensionale Steh-Aschenbecher postiert, obwohl im 5-Sterne-Hotel allen Sterblichen die Ausübung des Nikotinlasters streng untersagt ist. Allein im Interviewraum waren zwei Groß-Aschenbecher platziert worden.
Der Hamburger Genosse und die feine Hanseatenaristokratie. Hier passten die beiden Welten vortrefflich zusammen. Geld und Gewissen. Mir imponierte an Schmidt vor allem ein einfacher aber bestechender Kerngedanke. „Der Sozialstaat ist die größte Errungenschaft des 20. Jahrhunderts.“ Unsere Generation hat vom gezähmten Kapitalismus profitiert wie keine andere zuvor und möglicherweise danach. Auch wenn ich mich gerne an der Schmidtschen Weltsicht gerieben habe, war er für mich glasklar ein politischer Leitstern.
Die Tatsache, dass ich den Zuschlag für ein längeres Interview zum Thema Verantwortung in der Politik erhalten hatte, machte mich nicht nur aufgeregt sondern auch ungemein stolz. Mehr geht nicht. Natürlich wollte ich cool und abgeklärt auftreten, sicher und souverän wirken. Also plauderte ich los. Helmut Schmidt hob den Kopf, nachdem er seine Zigarette angezündet hatte und sagte als erstes: „Tun Sie mir einen Gefallen, junger Mann. Sprechen Sie lauter!!!“
Was sich nach dieser Ermahnung im Sommer 2010 entwickelte sehen Sie hier.