Ein Brief an Freund Hitler
Die Adresse lautet. An „Herr Hitler, Berlin, Germany“. Am 23. Juli 1939, knapp sechs Wochen vor Ausbruch des II. Weltkrieges setzt sich ein Mann im fernen Indien an seine Schreibmaschine. „Lieber Freund“, beginnt er freundlich, er müsse diese Botschaft jetzt schicken, die Zeit sei reif. Ein Krieg müsse unbedingt verhindert werden. Der Absender? Mahatma Gandhi.
Wörtlich schreibt der vielgepriesene gewaltlose Verfechter der indischen Unabhängigkeitsbewegung und bekennende Pazifist:
„Lieber Freund.
Bekannte haben mich gedrängt, Sie im Namen der Menschlichkeit anzuschreiben. Lange bin ich dieser Bitte nicht nachgekommen, weil ich glaubte, ein Brief von mir könnte als anmaßend empfunden werden.
Offenbar sind Sie unter allen Menschen allein in der Lage, einen Krieg zu verhindern, der die Menschheit in den Zustand der Barbarei zurückwerfen würde. Müssen Sie unbedingt diesen Preis für Ihr Ziel bezahlen, und wenn es Ihnen noch so erstrebenswert erscheint? Wollen Sie nicht auf einen Menschen hören, der nicht ohne beachtlichen Erfolg die Methode des Krieges immer abgelehnt hat? Sollte ich mich in Ihnen getäuscht haben, bitte ich Sie um Verzeihung für dieses Schreiben.“
Aus heutiger Sicht mutet das Schreiben vom Juli 1939 mehr als naiv an, wie ein grotesker Irrtum der Weltgeschichte. Gandhi, die berühmte Ikone der Gewaltlosigkeit, im unterwürfigen Ton und dem Versuch den deutschen Diktator von einem Krieg abzuhalten. Gandhi täuschte sich gewaltig. Und „Freund“ Hitler musste auf seine Versuche nicht antworten. Der Brief hatte ihn nie erreicht. Er wurde vorher abgefangen – von der indischen Regierung im Auftrag Londons.
Veröffentlicht wurde der Gandhi-Brief in dem deutschsprachigen Sammelband: „Letters of Note – Briefe, die die Welt bedeuten“. Herausgeber Shaun Usher hat 125 ungewöhnliche Briefwechsel der Weltgeschichte veröffentlicht.