Die Türme von China
Eine kühne Vision. Atemberaubend. Schwindel erregend. Zwischen verstopften Magistralen und endlosen Platten-Burgen ragt die Zentrale des chinesischen Staatsfernsehens CCTV in den Himmel über Peking. Ein Bauwerk, das alle Dimensionen sprengt und Besucher zum Staunen bringt. „Sitzende Hose“ nennen die Chinesen das gigantische Gebäude. Eines von vielen Beispielen moderner Hochhausarchitektur, die in China wie Pilze aus dem Boden schießen.
2002 erhielten der Niederländer Rem Koolhaas und sein deutscher Partner Ole Scheeren den faszinierenden wie heiklen Auftrag. Sie entwarfen für die boomende Hauptstadt Peking ein gigantisches Medienzentrum, das alles in den Schatten stellt. Ein Bau für die Propagandazentrale des zentral gelenkten Fernsehens, das als Wahrzeichen für den Fortschritt des Landes verstanden werden soll.
Das Ganze ist in eine Form des Hochhauses gepackt, die noch nie ausprobiert wurde. Alles ist schräg, kippt über die Kanten, taumelnde Türme. Es gab keine Vorbilder. Niemand zuvor hatte so etwas Komplexes geplant. Alle Produktionsstätten, die Studios, die Werkstätten, die Technik, die gesamte Verwaltung – alles unter einem Dach. Eines der größten Gebäude der Welt, ein Turm von Babylon des 21. Jahrhunderts. Der winkelförmige Querriegel ist so lang wie eine ganze Berliner Häuserzeile.
Das CCTV-Hauptquartier des Staatsfernsehens ist ein öffentlich zugängliches Haus mit Restaurants, einsehbaren Studios und ein Medienmuseum. Ganz oben im 76. Stockwerk, eine Überraschung. Nicht die übliche Chefetage, sondern der größte öffentliche Platz, der je in einem Hochhaus errichtet wurde. Die Botschaft: Die obere Etage gehört allen. Statt der Büros der Direktoren, ein Glasloch, das in den Abgrund schauen lässt.
China will an die Spitze, um jeden Preis. Größer, höher, mächtiger als je zuvor. Hochhäuser sind Monumente dieses neuen Selbstbewusstseins. Der CCTV-Tower des Staats-Fernsehens hatte Vorbildfunktion. Viele weitere beeindruckende Bauten sind in kürzester Zeit entstanden. Ob der Mut auch reicht, einen klaren Blick auf das Alltagschina mit Korruption, Schulden und neuer Armut zu werfen, ist eine andere Frage. An vielen Tagen im Jahr sind die gigantischen Kathedralen der Moderne nur noch schemenhaft zu erkennen. Sie versinken schlicht und einfach im Smog. Da hilft auch keine Klimaanlage mehr.