Adler oder Maulwurf?
Was kann ich nur anstellen mit meinen Jahren zwischen Wiege und Grab? Eine Menge meint Jakob Hein, im Hauptberuf Arzt, in seiner Passion Schriftsteller und zudem Sohn des bekannten Autors Christoph Hein. Das steht aber auf einem anderen Blatt. Jakob schreibt am liebsten Schelmenromane. Er liebt Anekdotisches und Abseitiges. Er weiß, dass Bücher längst an Tankstellen zwischen Kondomen und Senf dargeboten werden. Also schreibt er vom Leben wie es ist.
Der 44-jährige Berliner ist ein fleißiger Sammler für „verworfene Ideen“, sucht stets händeringend nach dem idealen Romananfang, bezeichnet sich in schwierigen Lagen als „Problemanalytiker“ und bemerkt, dass Menschen wie Dauerschauspieler sind, immer im Einsatz auf der Bühne des Lebens, um nach dem Auftritt „in der Garderobe erschöpft die Maske fallen“ zu lassen.
In seinem neuesten Streich, es ist schon sein vierzehntes Buch, stürzt er seinen Helden Friedrich Bender in Kaltes Wasser. Der junge Ost-Berliner schlägt sich in den Nachwendejahren durch das vereinte Berlin. Seine frustrierten Eltern trauern den alten Zeiten nach, „als Linsen noch nach Linsen schmeckten“ und die Menschen sich in die Augen schauen konnten. Der Sohn durchschaut die neue Zeit und lebt den Kapitalismus. Motto: Geld verdirbt den Charakter, aber es ist das Beste, was es gibt, um die Leute vom Denken abzuhalten.
Lehrreich und verdauungsanregend, wie er als Mitarbeiter der Versicherung Föderation seine Pausen nutzt, um auf der unbenutzten Herrentoilette Weltliteratur zu lesen: „Die großen Amerikaner, die alten Deutschen und die toten Russen.“ Herrlich, wie er als hochstapelnder Heiratsvermittler die Beziehungsnöte von Alt-, Hoch- und Geldadel zu einem erfolgreichen Geschäftsmodell entwickelt. Er vermittelt magersüchtige Prinzessinnen an bindungsunfähige Geldsöhne.
Mit seiner Partneragentur „von Meyburg “ beschwindelt Romanheld Friedrich die eitlen Exemplare der Welt des schönen Scheins. Natürlich kommen die geblendeten Bewunderer ihrem Felix Krull aus Ost-Berlin auf die Schliche. Das hat Folgen für die Geschäfte, das Liebesleben und die Doppel-Moral. Jakob Hein mag das Absurde. Am Ende steigt er diesmal auf einen „Läuterungsberg“.
Dort kommt ihm die Erkenntnis, dass es eine Herausforderung ist, einem Maulwurf die Gefühle eines Bergadlers zu beschreiben. Denn zum Fliegen gehört der Absturz. Aber: Was wäre schlimmer als nie geflogen zu sein?
Achtung unterhaltsam! Jakob Hein. Kaltes Wasser. Galiani Berlin, 2016.