Mein Smartphone, mon amour
Ganz ehrlich! Es geht einfach nicht mehr ohne. Nur mit meinem kleinen Freund fühle ich mich sicher, lebendig, überlebensfähig. Mein verlängerter Arm. Mein Hirn. Meine Augen, Ohren, Stimme. Mein Verlangen ist grenzenlos, meine Leidenschaft unstillbar. Das kleine Teilchen ist ein unfassbares Glück.
Es wiegt nicht viel, passt in jede Tasche, begleitet mich von früh bis tief in die Nacht. Es zeigt mir die Welt, ich halte sie fest in den Händen. Ein Blick reicht. Über zweieinhalbtausend Mal berühre ich Dich täglich. Mal zärtlich, mal fordernd, mal ängstlich, mal wütend. So streichle, wische, drücke ich Dich – meine große Liebe – mein geliebt-gehasstes Smartphone. Das Zauberding kann alles, außer Kaffee kochen.
Alles, was Menschen über oder unter Fünfzig vorhaben – essen, trinken, lieben, singen oder vögeln, können sie mit diesem Gerät in Sekundenbruchteilen erleben, organisieren, simulieren. Rund achtzig Millionen Deutsche haben mehr als 113 Millionen Mobilfunkanschlüsse. Mit Apps, Spielen, Netzwerken, ein Verführungspotential in jedweder Art. Ich bin nicht allein.
2.617 Mal pro Tag berühren Smartphone-Nutzer ihr Handy. Das will eine repräsentative Studie herausgefunden haben. Eine Woche lang wurde aufgezeichnet, wie häufig Testpersonen den Touchscreen berühren, um ihr Smartphone zu entsperren, zu tippen oder zu swipen. Auf ein Jahr hochgerechnet gehen die Kontakte in die Millionen Berührungen. Mehr als jedermann/jedefrau jemals den Hund, Partner oder auch nur den Bleistift im ganzen Leben anfasst.
Was helfen Warnungen der Experten? Benjamin Wockenfuß leitet bei der hessischen Landesstelle für Suchtfragen das Selbsthilfeprojekt webC@RE. Schon vor zwei Jahren erklärte er resignierend: «Viele Menschen bauen Stress ab, verlieren dabei aber den Kontakt zu sich selbst». So schafften sie sich in der virtuellen Welt eine Oase, in der sie keine Enttäuschung erlebten und sich von der Dynamik der Gesellschaft nicht überfordert fühlten.
Die Bundesregierung geht derzeit von mindestens 500.000 Internetsüchtigen in Deutschland aus, Tendenz steigend. Genaue Kriterien fehlen aber. Wer außerhalb von Schule, Studium und Beruf rund dreißig Stunden in der Woche vor dem PC, Tablet und Smartphone sitzt, gilt in Fachkreisen als abhängig, so Benjamin Wockenfuß. Die Annahme, Männer verlören sich vor allem in Rollenspielen und Frauen in sozialen Netzwerken sei nicht mehr zu halten. Viele vor allem ältere Nutzer seien „exzessiv in Plattformen wie Wikipedia und YouTube“ unterwegs.
Willkommen auf meiner Seite!