Erfolg macht blind

Was kostet zerstörtes Vertrauen? 15 Milliarden, 30 Milliarden, 100 Milliarden Euro? So weit reichen die Schätzungen im Fall VW. So teuer könnten die Abgas-Betrügereien an elf Millionen Dieselautos werden. Ein Fiasko. VW taumelt vom weltgrößten Autohersteller, so der einstige ehrgeizige Plan, in den größten GAU seiner Firmengeschichte. Jedem Unternehmen ohne inneren Kompass, Werte und Vertrauen in die Mitarbeiter kann ein solches Schicksal blühen. Immer dann, wenn Erfolgstreben blind macht.

Ende Mai 2016 konnte Psychotherapeut Günter Funke vor 400 VW-Führungskräften zum Thema Vertrauen, Verkaufszahlen und Erfolg seinen letzten Vortrag halten. Der Kern seiner Ausführungen lautete: „Wenn Erfolg Recht gibt, dann ist jeder Betrug, der zum Erfolg führt rechtens“. Hier einige Auszüge aus der Wolfsburger Rede, dem die gesamte Führungsspitze unter  VW-Chef Matthias Müller atemlos folgte.

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Korrekt mit Schlips und Kragen. Wie altmodisch sind Fragen wie Vertrauen oder Werte?

 

 „Die Frage steht nicht erst seit heute Abend im Raum: „Wie ist ein solches Fehlverhalten zu erklären?“ Wir können auch fragen: „Was ist schief gelaufen, wie konnte das passieren, was ist falsch gemacht worden?“ Und die Antwort auf diese Fragen dann im vorgegebenen Rahmen der Regeln und Verordnungen die bei VW in Geltung sind, suchen. Systemimmanent also. Vielleicht wird dann festgestellt, dass das System in Ordnung ist, es gab halt Bedienungsfehler.

Wir können den Horizont aber auch weiter aufspannen, also grundsätzlicher fragen, nicht nur nach dem Fehlverhalten, sondern auch grundsätzlicher: Was hat gefehlt? Das bedeutet nach Gründen suchen und nicht bei den auslösenden Aspekten stehen zu bleiben. Das Fehlende wird oft erst sichtbar, wenn größere Zusammenhänge erkennbar werden. Um überhaupt erkennen zu können, was fehlt, muss ich ein Wissen um das Ganze haben. Dieses Wissen ist oft intuitiv vorhanden, wird aber zu wenig aktualisiert und zum Gegenstand einer vernünftigen Reflexion gemacht.

Denn Fehlverhalten basiert auf dem Fehlen von Haltung. Die Haltung eines jeden Menschen wird geprägt von den ihn leitenden Werten, ohne Werte ist eine stabile Haltung nicht möglich.

Bei etwas genauerem Hinsehen erscheint mir VW immer als ein eher autokratisch geführtes Unternehmen zu sein, das in seiner weltumspannenden Größe kaum noch wirklich zu führen ist. Autokratisch geführte Unternehmen weise oft erhebliche Mängel auf, die aber durch den anhaltenden Erfolg (die Verkaufszahlen stimmen) kompensiert werden. Erfolg ist für Innovation und Kreativität kein guter Begleiter, das hat uns die Neurobiologie gezeigt.

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Eine Hand wäscht die andere. Erfolg ist alles.

Je erfolgreicher wir eine Strategie über lange Zeit anwenden, desto tiefer fahren sich die „Autobahnen“ in unser Gehirn ein und wir verfügen am Ende nur noch über die Regeln und Mechanismen des gerade laufenden Erfolgsmodells. Das Gehirn schafft keine kreativen Vernetzungen mehr, es ist eingleisig werden. Wirklich kreativ wird ein solches Gehirn erst dann wieder, wenn der Karren vor die Wand gefahren ist.

Autokratisch geführte Unternehmen versteigen sich immer mehr auf die Zahl, auf die Erhöhung der Verkaufszahl, koste es, was es wolle. Es zeugt nicht gerade von Vernunft, wenn immer neue Steigerungsanforderungen als Ziel, als Motivation herausgegeben werden. Sie kennen das ebenso wie ich. Erhöhung der Akkordnorm führt immer zu großem Widerstand und zu Ängsten. Und dann werden Schlupflöcher gesucht. „Wie können wir dem auferlegten Stress entgehen?“ Um-gehen, anstatt umzugehen. Und da wird dann plötzlich wieder Kreativität frei. Auch Betrug kann Kreativität sein – aber ohne Bezug zu tragenden Werten.

„Wenn Erfolg Recht gibt, dann ist jeder Betrug, der zum Erfolg führt rechtens“

Die Angst gerät langsam in den Hintergrund, klammheimliche Freude ist spürbar – und doch – es wird nicht aufgehen. Das Gehirn adaptiert die zuerst noch wahrgenommene Fehlhaltung, die ja auch eine Schonhaltung ist, oder ein Vermeidungsverhalten, als normal. Es nimmt die Abweichungen von der geltenden Norm nach ca. sechs Wochen nicht mehr war, es sei denn, ganz tief verankert, im Grunde verankert wären Werte andere Werte als der Erfolg um jeden Preis. Wenn Erfolg recht gibt, dann ist jeder Betrug, der zum Erfolg führt rechtens.

Ich würde auch nicht von krimineller Energie sprechen, völlig überzogen. Ja, es war ein technisches Problem – und ein Werteproblem.

Verantwortung setzt Freiheit voraus, fehlt diese Freiheit zur Verantwortung dann wird alles schnell zum Zwang, es folgt das Gefühl des zum ständigen Müssens und das wird auf Dauer unerträglich. Parolen herausgeben: Noch mehr Autos verkaufen, weltweit größter Konzern zu sein etc., das ist einer Führungskraft heute nicht mehr würdig, offenbart eher Peinlichkeit. Ein Umdenken hat begonnen, ein not-wendiges Umdenken – oder ist es ein Um-Fühlen? Es geht jetzt nicht darum Schnellschüsse zu produzieren, wichtig ist, den Prozess zu beginnen, der zu neuen, werthaften Haltungen führt, und nicht nur ein wenig an der Oberfläche des Verhaltens zu kratzen.“ (Vortrag in Wolfsburg. Mai 2016)

Günter Funke. Vortrag vom 02.11.2015

 

Günter Funke war bereits von schwerer Krankheit gezeichnet, als er den VW-Oberen die Thematik von Vertrauen und Werten ins Stammbuch schrieb. Der gelernte Theologe wurde bis zum Schluss nicht müde, daran zu erinnern, dass im Leben alles veränderbar sei. Man dürfe sich von seiner Angst nichts gefallen lassen, machte er seinen Mitmenschen bis zuletzt Mut. Günter Funke starb am 3. August 2016 im Alter von 67 Jahren.

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