Wir brauchen einen Willy

Die Bundesrepublik ist mittlerweile 67 Jahre alt. Das Land hat bei allen Fehlern ein paar Dinge geschafft: die längste Wohlstandsphase seit Menschengedenken, die stabilste Friedensperiode der deutschen Geschichte und eine Vereinigung, die den Kalten Krieg ohne einen einzigen Schuss beendete. Selbst die skeptischen Briten erklären die Deutschen in BBC-Umfragen regelmäßig zum populärsten Land der Welt. Und die Deutschen selbst? Sie maulen, meckern und folgen zunehmend denen, die Angst und Schrecken beschwören. Man könnte meinen, die Welt gehe bald unter. Und nur eine Kraft kann sie retten: die AfD.

Die Stärke der AfD ist eindeutig die Schwäche der etablierten Parteien. CDU, SPD und Grüne gelten als verbraucht und unfähig Probleme zu lösen. Angesichts einer biblischen Flüchtlingswelle, Folge der ungehemmten Globalisierung, ist das kein gutes Zeichen. Aber es fehlt noch mehr: Eine politische Elite mit Haltung, Herz und Zielen. „Die Willy Brandts wachsen nicht auf den Bäumen“, klagte einmal SPD-Vordenker Erhard Eppler. Dabei wäre ein Politiker von diesem Format nötiger denn je. Verzweifelter Ruf an die Götter: Wo ist ein neuer Willy?

 

brandtwilly

Willy Brandt. (1913 – 1992)

Die Lage der Volksparteien ist kritisch. Jahr für Jahr verlassen zehntausende Mitglieder CDU und SPD. Ähnlich wie die Amtskirchen verlieren Parteien ihre wichtigste Ressource: das Volk. Doch deren Antwort lautet: verharmlosen und verschweigen. Stattdessen dienen Altparteien als Postenjäger- und Karriereunternehmen für 18.000 Berufspolitiker. Für viele gilt: Ein Talkshow-Auftritt zählt mehr als Sacharbeit. Loyalität ist wichtiger als Leistung. Mauscheln um Listenplätze ein notwendiges Übel. An die Spitze gelangen ehrgeizige Referenten oder Menschen mit ausreichend Sitzfleisch, für die Konferenzen der Kern ihres Daseinszwecks ist.

Handwerker, Bauern oder einfache Arbeitnehmer sind Mangelware im professionellen Politbetrieb. Wichtige Entscheidungen werden in kleinsten Kreisen gefällt, häufig an externe Berater delegiert, und anschließend nur halbherzig oder gar nicht erklärt.  Verantwortung ist ein Fremdwort geworden. In den Parteien selbst wird über Wolfsrudelverhalten geklagt. Es herrsche ein zynischer Umgang, mit medialen Heckenschützen und Kannibalismus an der Spitze. Übrig blieben Politiker wie Volkmar Kauder oder Sigmar Gabriel. In der SPD beispielsweise war noch nie die Sehnsucht nach einem Willy Brandt so groß wie in diesen Tagen.

 

 

Vielleicht eröffnet der kometenhafte Aufstieg der AfD in diesen Tagen eine einmalige historische Chance. Die Volksparteien könnten sich wieder besinnen, dass sie Teil des Volkes sind und in zentralen politischen Fragen für das Volk da sein sollten. In den letzten Jahren schien im Politbetrieb die Sonne nur noch für clevere Strippenzieher und deren so fleißige wie anonymen Helfer.

Wer mehr über Willy Brandt wissen will, dem sei die Biografe von Peter Merseburger „Visionär und Realist“ aus dem Jahre 2002 empfohlen.

1 comment

  • Stefan Ott

    „Die Willy Brandts wachsen nicht auf Bäumen.“ Für mich klingt dieser Satz von dem Parteipolitiker Eppler wie eine Rechtfertigung für die Fantasielosigkeit, die wir bei der Förderung des politischen Nachwuchses zu Tage legen. Bei Herrn Läpple scheint die Botschaft auch genau so angekommen zu sein, warum sonst wendet er sich bittend an die Götter und sucht nicht nach irdischer Verantwortlichkeit.

    Können uns wirklich nur die Götter helfen? Ist politische Nachwuchsförderung wirklich sinnlos?

    Die primäre Zuständigkeit für die Förderung des politischen Nachwuchses hier auf Erden dürfte bei den Parteien liegen. Wer ein politisches Amt anstrebt, kommt in unserer parlamentarischen Parteiendemokratie jedenfalls nicht an ihnen vorbei. Innerhalb der Parteiapparate dürfte die natürliche Zuständigkeit bei den Ortsverbänden liegen, weil ihre Protagonisten die ersten leibhaftigen Parteienvertreter sind, die ein potentieller Nachwuchspolitiker in der Regel persönlich kennen lernt. Ein wenig polemisch auf den Punkt gebracht heißt das: Bei uns sind die lokalen Platzhirsche, die auf kommunaler Ebene Parteipolitik spielen, verantwortlich für die politische Begeisterung der eigenen, jüngeren Konkurrenz. Sind das die Strukturen, die uns erlauben zu sagen, dass wir auf der Suche nach den neuen Willys schon alles versucht haben? Den Ortsverbänden fehlen nicht nur die Mittel und das Know-how für die Förderung des Nachwuchses. Den meisten Ortsverbänden fehlt bereits das Bewusstsein, dass es ihre Aufgabe ist, einen neuen Willy oder die neue Wilhelmine zu finden. Wozu auch Willy suchen, wenn man sich selbst für Willy hält? Vom Eintritt in eine Partei bis zur Übernahme eines kommunalen Mandats dauert es im Durchschnitt 14,3 Jahre. Willy muss bei den Göttern sein, sonst würde er doch hier zuschlagen.

    Aber im Ernst, von den Möglichkeiten, die uns unsere liberale Demokratie bietet, um junge Menschen für die Übernahme politischer Verantwortung zu begeistern, haben wir bisher kaum etwas ausprobiert. Die Stärke des demokratischen Systems gegenüber totalitären Systemen liegt in seiner Lernfähigkeit. Wer diese Stärke nicht nutzt, gefährdet die Demokratie.

    Für die Förderung des politischen Nachwuchs muss also ein neuer Ansatz her. Parteien sind Konkurrenzgemeinschaften und nicht auf die Förderung ihrer Mitglieder ausgerichtet. Es bedarf also eines zivilgesellschaftlichen Engagements, will man in diesem Bereich neue Wege beschreiten. Mein Engagement richtet sich darauf, jungen Menschen parteiunabhängig den Weg zu einem kommunalen Mandat zu ebnen, um ihnen hier die Möglichkeit zu eröffnen, politische Selbstwirksamkeit zu erleben. Konkret heißt das, bei der Kommunalwahl 2020 wollen wir in Ostwestfalen mit Wählerlisten antreten, auf denen nur Kandidaten stehen, die alle jünger als 25 sind. Unsere Idee ist es, mit U-25 Fraktionen in den Rathäusern die politische Nachwuchsförderung zu einer kommunalen Aufgabe zu machen. Zu diesem Zweck haben wir den Verein JURATS, Junge Ratsmitglieder mit Sitz in Bad Oeynhausen gegründet.

    Dieser Ansatz wirft viele Fragen auf und es würde mich sehr freuen, lieber Leser und lieber Herr Läpple, wenn Sie etwas zu Diskussion beitragen würden. Gerne auf unserer Homepage: http://www.jurats.de

    Ich möchte Ihnen folgende Frage stellen:

    Wenn wir es schaffen, bei der Kommunalwahl 2020 in NRW 100 junge Menschen (U-25) in kommunalpolitische Verantwortung wählen zu lassen, würden Sie ihnen etwas beibringen wollen und wen ja, was?

    Mein Name ist Stefan Ott, ich bin Jahrgang 66 und von Beruf Rechtsanwalt. Ich weiß auch, dass Willy Brandt ein großartiger Ausnahmepolitiker gewesen ist und dass Charakter nicht gelehrt werden kann. Jede Zeit hat seine eigenen Fragen und Antworten. Ich bin froh, dass nationalsozialistische Verfolgung heute nicht unser Dasein prägt. Aber Erich Kästner sagt: „Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball zertreten.“ Das sind ganz andere Herausforderungen als zu Brandts jungen Zeiten.

Schreibe einen Kommentar zu Stefan Ott Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.