Bürger begehren
Herrschaft bedeutet im Alltag primär Verwaltung, schrieb vor hundert Jahren Vordenker Max Weber. Heutzutage im Internetzeitalter produziert Verwaltung zuallererst Verdruss. Es heißt Warten auf die Gnade eines Termins. Auf einen Bescheid, eine Zugangsnummer, eine wohlwollende Prüfung. Der Bürger hat dankbar zu sein. Der Ton in den Amtsstuben ist dementsprechend rau. Hier überforderte Beamte, deren Dienststellen zusammengespart wurden, dort frustrierte Bürger, die ungeduldig auf einen Hauch Besserung hoffen. Das Ergebnis: knechtische Gesinnung breitet sich aus. Folge einer tyrannischen Bürokratenherrschaft, die ihre Waffen Abstumpfung, Prinzipienreiterei und Gleichgültigkeit wirkungsvoll einzusetzen weiß.
Beispiele gefällig? Bürgeramt Berlin-Kreuzberg in der Yorckstraße. Ein Herbsttag. 11 Uhr vormittags. Ein kranker Mann möchte einen Berlinpass beantragen. Die Dame hinterm Schalter: „Heute sind die Nummern alle, kommen Sie morgen wieder.“ Am nächsten Tag, 10 Uhr 20: „Heute sind die Nummern alle…“ Und so geht es eine Woche lang, bis…: „Ich möchte einen Berlinpass beantragen. Ich habe Krebs und war schon sieben Mal hier.“ Die Schalter-Dame: „Da können wir eine Ausnahme machen. Aber heute sind die Nummern alle, kommen Sie morgen wieder.“
Nach mehreren Unfällen verlangen Bürger längere Grünphasen für Kinder und Alte an Ampeln. Berlins zuständige Behörde – die Verkehrslenkung VLB – antwortet nach sorgfältiger Prüfung: „Das führt nicht per se zu größerer Akzeptanz der StVO. Eine Verlängerung von fünf Sekunden für die querenden Fußgänger würde den Straßenverkehr für den MIV (Motorisierten Individualverkehr) erheblich beeinträchtigen. Die daraus folgende Staubildung führt zu weiteren Schadstoffbelastungen zum Nachteil von Mensch und Umwelt. Darunter würden alle Anwohner und vor allem die Kinder an Ihrem Wohnort leiden.“ Anliegen der Bürger abgelehnt.
Da stimmt es geradezu heiter und gelassen, was Im Sommer zu Ferienende im Vorzeigebezirk Prenzlauer Berg geschah. An einer Grundschule fehlte zu Schulbeginn der Stundenplan. Kein Problem, sagten sich die Lehrer. Zur Beruhigung der besorgten Eltern konnten die Kinder am zuckerfreien Vormittag schon mal ihre Namen tanzen.