Louis Busman Netzeband 2007

Auf und davon

„Denn da ist keine Stelle, die dich nicht sieht. Du musst dein Leben ändern!“ Das notierte Rainer Maria Rilke in seinen Briefen. Was für ein Wunsch! Zeitlos bohrend, hoch aktuell. Gestresste Stadtmenschen mit zu hoher Drehzahl suchen Ruhe. Schnell, preisgünstig, nachhaltig. Innere Ruhe ist ein kostbares Gut geworden. Das Landleben verspricht Alternativen: Bäume umarmen, Unkraut jäten, Marmelade einkochen, sein Seelenheil finden. Wirklich?

 

Kunststück Natur. Ein Gemälde von Louis Busman.

 

Der Zug aufs Land ist ungebrochen. Je voller die Ballungszentren werden, desto mehr Städter siedeln auf dem flachen Land. Hübschen verfallene Bauernkaten auf. Organisieren Opern in Kuhställen. Verrenken sich zur Kirschblüte auf Yoga-Matten. Lobpreisen die Stille der Landschaft. So joggen, reiten und radeln sie durch Feld und Flur. Dorfkinder schütteln den Kopf und wenden sich ihrem Smartphone zu. Die Alten träumen von Zeiten, als die Feuerwehr noch Feste feierte und jederzeit zum Löschen ausrücken konnte.

 

„Echte“ Natur als Foto. Eine Momentaufnahme aus dem Juni.

 

Andere auf dem Lande wettern gegen die Dummheit im Kommunismus und die Gier im Kapitalismus. Was bringt die Zukunft? So die bange Frage. Sie fürchten um ihre Heimat. Wollen sie schützen. Einer sagt den schönen Satz: „Ein Baum, der fällt, macht mehr Lärm als ein Wald der wächst.“ Eigentlich sei alles in Ordnung, betont er. Auf den ersten Blick. Aber wer genauer hinschaue, könne die Risse entdecken. Heute denke doch jeder nur noch an sich. Gemeinschaft? Ein Wort aus der Vergangenheit.

 

Windräder. Ikonen der Moderne. Ärgernis der Anwohner.

 

Das Teilzeit-Leben auf dem Lande ist für viele die neue Lebensform. Auf und davon. Raus am Wochenende. Für Zugezogene ist das Dorf eine Mischung aus Ponyhof, Outdoor-Fitnessstudio und Therapiekurs. Für Einheimische ein Schlafort, um sich von den Strapazen des Pendelns zur Arbeit zu erholen. Städter knipsen Sonnenuntergänge und posten sie auf Instagram. Sonntagabend wird die leere Kühltasche wieder im Wagen verstaut. Zurück im Stau. Was bleibt? Im Kofferraum die Sehnsucht nach Heimat und Selbstverwirklichung. Ach, dieser alte Wunsch. „Du musst dein Leben ändern.“ Hat Rilke Recht?

Wer wissen will, wie der Traum vom einfachen Landleben ganze Regionen verändert hat, dem sei ein Hinweis in eigener Sache erlaubt: So viel Anfang war nie erzählt die Geschichte vom Aufbruch eines kleinen märkischen Dorfes in den neunziger Jahren. Es ist die Reise in eine blühende Pionierzeit, in der alles möglich war.

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