Joan Baez und Bob Dylan auf dem Bürgerrechtsmarsch in Washington. 1963. Rowland Sherman. U.S. Information Agency. Press and Publications Service

Donna, donna

Wer kennt es nicht – dieses Lied mit der einprägsamen Melodie? Donna, donna wird oft gespielt und gemeinsam gesungen. Abends am See, mit Freunden, wenn das Feuer knistert und die Hitze des Tages weicht. Manche meinen, es sei von Donovan, andere bestehen darauf, es sei von Joan Baez. Alle haben nicht ganz recht. Das Lied ging in den Sechzigern um die Welt. Doch der Song hat tiefere Wurzeln.

1941 entstand „Donna, Donna“. Das jiddisches Lied erzählt von einem Kälbchen, das hilflos ist und sich nicht wehren kann. Es wird zur Schlachtbank geführt. Es träumt davon, eine Schwalbe zu sein, die ihr Schicksal selbst bestimmen kann. Das Lied war eine stille und trotzig-verzweifelte Antwort auf die Verbrechen der Nazis. Es stammt von den jüdischen Künstlern Aaron Zeitlin (Text) und Sholom Secunda  (Melodie). Aber erst Joan Baez  machte dieses Lied Anfang der sechziger Jahre weltberühmt – als wirkungsvollen, oft gesungenen Protestsong.

 

 

DAS KÄLBCHEN (deutsche Übersetzung)

Auf dem Wagen liegt ein Kälbchen,
liegt da, gefesselt mit einem Strick.
Hoch im Himmel fliegt ein Vogel,
fliegt und flitzt hin und zurück.

Da lacht der Wind im Kornfeld,
lacht und lacht und lacht,
lacht den ganzen Tag über
und noch die halbe Nacht.

Das Kälbchen schreit, der Bauer sagt:
„Wer hat dich geheißen, ein Kalb zu sein??
Du hättest doch auch ein Vogel werden können!
Du hättest doch auch eine Schwalbe werden können!“

Die armen Kälblein – sie werden gefesselt
und geschleift und geschlachtet. –
Wer Flügel hat, fliegt aufwärts,
macht sich bei keinem zum Knecht!

 

 

Im Mai 1989 sang Joan Baez dieses Lied zum ersten Mal in Prag. Zu diesem Zeitpunkt herrschte die Kommunistische Partei noch uneingeschränkt. Die Folksängerin bat Vaclav Havel auf die Bühne. Der verbannte Dissident wurde frenetisch begrüßt. Demonstranten wie Polizisten verstanden sofort die Symbolik. Daraufhin drehten die Behörden den Ton ab. Die viertausend Besucher sangen das Lied mit Joan Baez einfach weiter.

So entstand ein magischer Moment. Lieder können den Lauf der Welt sehr wohl beeinflussen. Donna, Donna wurde zur Hymne der Samtenen Revolution in der CSSR. Damit schloss sich ein Kreis. Vor genau fünfzig Jahren, im August 1968, hatten sowjetische Panzer den Prager Frühling niedergewalzt. 21 Jahre später zeigte ihnen das Lied den Weg in eine neue Zukunft. Ohne Willkür und Rechtlosigkeit. Ohne Strick um den Hals.

Joan Baez ist übrigens in diesen Tagen auf Europa-Tournee. Unter anderem in Wien, Halle, Berlin, Ludwigsburg, Schwetzingen und Köln.

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