Lost in Herzdorf

Herzdorf, einst Hertzdorf, liegt in Brandenburg. Gut zwei Autostunden von Berlin entfernt, im Nordwesten nahe der Grenze zu Mecklenburg. Die Mini-Siedlung wurde erstmals 1574 erwähnt. Mitte des 18. Jahrhunderts versuchten zehn Kleinbauern ihr Glück. Vermutlich um die Jahrhundertwende brannte das Dorf wieder ab. Die Reste von Herzdorf liegen auf dem ehemaligen Boden-Luft-Schießplatz „Polygon Wittstock“. Besser bekannt als „Bombodrom“, einst das größte Übungsgebiet Europas. Das Dorf ist verschwunden. Nur eine Wetterstation funkt noch Daten, unter anderem für Jörg Kachelmann. Das war´s.

 

Die kurze Geschichte von Herzdorf. Um 1750 gegründet. Nach 1945 militärisches Sperrgebiet. Im Volksmund genannt „Bombodrom“.

 

Doch Herzdorf lebt. Für mein Buch „So viel Anfang war nie“ ist es wieder auferstanden. Ein Symbol für das stürmische Auf und Ab der letzten Jahrzehnte. Das Herzdorf im Buch heute? Gut vierzig Prozent Einheimische. Der Rest Zugewanderte. Ein Großbauer pflügt den Acker und versprüht Glyphosat, die anderen Einheimischen hängen rum, parken ihren Rollator hinter der Haustür. Die zugezogenen Berliner züchten genfreien Salat, atmen energetisch und tanzen selbstbestimmt in Workshops, vom Sound der Klangschalen schadstofffrei untermalt. Herzdorf ist längst überall.

 

1992 räumte die Rote Armee den Truppenübungsplatz in der Kyritz-Ruppiner Heide. 2011 zog sich die Bundeswehr zurück. (Aufnahme April 2014)

 

Das Bombodrom ist seit zwei Jahren teilweise geöffnet. Rund ein Drittel der riesigen Fläche (12.700 Hektar) ist Naturschutzgebiet. Die Sielmann-Stiftung hat die Pflege übernommen. Hier ist das Begehen risikofrei. Man sollte jedoch unbedingt auf den Wegen bleiben. In den Kernzonen kann noch scharfe Munition liegen. Tickende Zeitbomben. Zu explosiv, zu gefährlich. Vier Jahrzehnte kämpfte, schoss und probte die Rote Armee den Ernstfall. Es wird vermutlich genauso lange dauern, bis das militärische Erbe aus dem Kalten Krieg geräumt sein wird.

 

Geschätzt rund 1.5 Millionen Bomben, Blindgänger und Übungsmunition sind das Erbe. Die Kernzonen gelten weiterhin als hochgefährlich. Sie sind noch nicht geräumt.

 

Das verschwundene Herzdorf heute? Ein Nichts am Rande der stillen Heide. Weites Land. So weit das Auge erreicht. Birken und Kiefern haben sich wie Pilze vermehrt und eine Höhe von drei bis vier Metern erreicht. Im einstigen Sperrgebiet sollten gigantische Windparks errichtet werden. Umweltschützer haben diese Pläne verhindert. Dafür sind Wölfe eingewandert. Zur Freude der Städter und Touristen. Die Einheimischen jedoch fürchten um Schafe, Hühner und Kälber. Wenn es nach ihnen ginge, wäre Meister Isegrim längst wieder verjagt worden.

 

Im Süden des Bombodroms ist ein kleineres Gebiet für Besucher freigegeben worden. Zugang über Pfalzheim oder Neuglienicke. (Ostprignitz-Ruppin)

 

Die Geschichte von Herzdorf steht außerdem für ein kleines Wunder. Eigentlich wollte die Bundeswehr das Gelände für die Luftwaffe intensiv nutzen. Geplant waren mehr als fünftausend Übungseinsätze pro Jahr. Nach siebzehn Jahren Auseinandersetzungen mit klagenden Bürgerinitiativen und 27 Urteilen gab das Verteidigungsministerium im Sommer 2009 auf. Das Kämpfen hat sich gelohnt. Seitdem ist die Heide frei. Es sieht so, als ob aus dem geschundenen Manöver-Gelände blühende Landschaften werden. Gerade in diesen September-Tagen, in denen die Heide blüht. Ein Traum in Rosarot. Herzdorf lebt, auch wenn es verschwunden ist.

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