Spatzenfamilie. Suju

Macht. Das Gedicht. Aus. – An.

So viel Aufregung war selten. Avenidas. Ein Gedicht. Acht Zeilen. Geschrieben auf einer Wand. Knallharte Konflikte um einen alten Dichter. Eugen Gomringer (94), der „Altmeister der konkreten Poesie“.  Getilgt im Namen von Aufklärung, Sittlichkeit und Reinheit der Lehre. Der Preis für derartige politische Korrektur: 31.575,59 Euro. So viel kostete die Übermalung. Nun ist das Acht-Zeilen-Gedicht wieder aufgetaucht. Ein Comeback, ein paar Straßen weiter. Avenidas ziert nun ein Genossenschaftshaus im Berliner Bezirk Hellersdorf.

Berlin-Hellersdorf. „avenidas“ ist zurück an der Fassade eines Plattenbaus. Quelle: Wohnungsgenossenschaft Grüne-Mitte Hellersdorf.

So viel Wirkung war selten. Der bizarre Berliner Bilderstreit lässt eine weitere Blüte der Poesie reifen. Seit einigen Tagen heißt es wieder:

„Alleen/Alleen und Blumen/ Blumen/Blumen und Frauen/Alleen und Frauen/Alleen und Blumen und Frauen und/ein Bewunderer.“

Das neue, politisch genehme Gedicht, ausgelobt von den Gremien des Allgemeinen Studier_Innenausschusses (ASTA) der Alice-Salomon-Hochschule – Name hoffentlich korrekt zitiert, oder heißt es Studierendenausschuss (?) – stammt von der Lyrikerin Barbara Köhler. Es lautet.

„SIE BEWUNDERN SIE/BEZWEIFELN SIE ENTSCHEIDEN/SIE WIRD ODER WERDEN GROSS/ODER KLEIN GESCHRIEBEN SO/STEHEN SIE VOR IHNEN/IN IHRER SPRACHE/WÜNSCHEN SIE IHNEN/BON DIA GOOD LUCK.“

Gomringers avenidas war zu anstößig. Es stelle eine „patriarchale Kunsttradition“ dar, in der Frauen nur schöne Musen seien wodurch sexistische Tendenzen vermittelt würden, hieß es. Nach aufgeheizter und nervöser Gender-Debatte musste das Gedicht weichen. Die Hochschule war obenauf. Doch jener Bildersturm hatte zumindest auch eine positive Seite. Monatelang wurde leidenschaftlich über Lyrik gestritten, über acht Zeilen eines Gedichtes. Mehr kann Kunst nicht erreichen.

Der Deutsch-Schweizer Dichter Eugen Gomringer pflanzte acht Kinder in die Welt. Sieben Söhne und eine Tochter. Nora nahm den Staffel ihres Vaters und seiner „Konkreten Poesie“ fantasievoll auf. Sie erfreut eine wachsende Fangemeinde mit wortmächtig-witzigen, tiefgründig-treffenden Versen, Texten und Stücken. Die 39-jährige Nora Gomringer stritt vergeblich gegen die selbsternannten avenidas-Sprachreiniger von der Berliner Hochschule.

Sprache ist Macht. Verwaltung ist Herrschaft. Dogma ist Unfreiheit. „Macht. Das Gedicht aus“, heißt es auf ihrer Website. Die in Bamberg lebende Bachmann-Preisträgerin Gomringer konzentriert sich auf „Texte in natürlicher Umgebung“. Sie denkt nach über das „Verhandeln des Poetischen im Öffentlichen“. Eine Suchende. Eine, die Grenzen überschreitet. Ein Freigeist.  Sie dichtet: Ohne Körper keine Stimme

„Ich mache das nicht zum Vergnügen
Das Auflösen in Sprache

Wie eine Tablette

Und vor ihr der Schmerz“

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