Die letzten Reporter
Wenn Ihr den Zug der Zeit verpasst, dann werdet Ihr „Cadavers on the floor“. Auslaufmodelle. Dinos. Fossile. Die taffe Expertin rät: „Ihr müsst eine Marke werden. Macht Digital Storytelling. Ihr braucht neue, moderne Ausspielkanäle auf Notebook, Tablet oder Smartphone. Die alte Zeitung hat keine Zukunft.“ Die junge Marketingexpertin schaut in die ratlosen Gesichter der alten Hasen. Eine Spezies Berichterstatter, die sich verzweifelt an Stift, Notizbuch und ihre Überzeugung klammert. Journalisten sollten Inhalte transportieren und keine Klickzahlen produzieren. Der neue Dok-Film Die letzten Reporter erzählt drei bewegende Geschichten aus einer Welt, die dem Untergang geweiht zu sein scheint.
Da ist Sportreporter Thomas Willmann aus Schwerin. Motto: Auf dem Platz ist die Wahrheit. Mit stoischer Ruhe berichtet er Wochenende für Wochenende vom Dorf-Kick, Radball oder Ringen. Er hört zu. Jeder kennt ihn. Ein Reporter mit Notizbuch und Nokia-Handknochen, der sich von nichts ablenken lässt. Der seinen Job liebt, dem die Ehefrau weggelaufen ist. Egal. Hauptsache, die Zeitung bleibt. Nun soll er seine „Storys“ auf Instagram und Facebook posten. Wie das?
Amüsant der Promi-Reporter von Osnabrück Werner Hülsmann. Dreißig Jahre lang hauchte er in seiner Kolumne Werners Cocktail dem Provinzdasein Glanz und Glamour ein. Ob Peter-Maffay-Verschnitt oder blondierte Operndiva, die fürs Autohaus Werbearien trällert, dieser Gerhard Schröder in der Osnabrück-Ausgabe – Motto: Wie war ich? – hatte sie alle. Sogar Thomas Gottschalk. Auch er muss sich umstellen, in Rekordzeit den Quantensprung zum Multitasking-Media-Mann wagen. Als Entertainer alter Schule weiß er allerdings: „Heißer Scheiß“ verkauft sich immer besser als „alter Scheiß“.
Und da ist Anna Petersen, 25-jährige blonde Berichterstatterin aus Bienenbüttel. Sie berichtet für die „Lüneburger Landeszeitung“ über Rentnerinnen im Rufbus, besorgte Bauern, übende Feuerwehrwehrleute und wegdämmernde Ratsmitglieder. Besonders sensibel porträtiert die junge Lokalreporterin eine schicksalsgebeutelte Tochter einer Alkoholikerin. Petersen will dicht dran sein an den Leuten, über die sie schreibt. Nicht weit weg, wie bei ihrer Ausbildung in der Süddeutschen Zeitung, wo sie in der 9. Etage eines gläsernen Hochhauses fremdelte. Anna Petersen hat Zukunft. Sie macht Mut. Für ihr mehrteiliges Porträt „Chaos im Kopf“ über die junge, leidgeprüfte Frau erhielt sie vor wenigen Tagen den renommierten Theodor-Wolff-Preis für Lokaljournalismus.
Filmemacher Jean Boué ist eine eindrucksvolle Hommage an Die Letzten Reporter gelungen. Menschen, die schlecht bezahlt in einem prekären 60 Stunden-Wochen-Job drei bis vier Geschichten am Tag abliefern müssen. Getriebene, die gegen dramatisch sinkende Auflagen anschreiben. Immer im Wettlauf mit der Zeit und nun auch „On-Air“. Diese Reporter trinken den Kaffee nicht, sie stürzen ihn weg. Am Ende zeigt der Film fast wehmütig, wie Zeitungsjournalisten gegen den Lauf der Zeit anrennen – wie einst die Bergleute in ihren Zechen und Gruben.