Frida Kahlo 1944. Die gebrochene Säule.

„Bei Risiken und Nebenwirkungen…

…fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker“. Aber was tun, wenn die Fachleute bei Schmerzen überhaupt nicht helfen können. Wenn sie die Krankheit noch nicht einmal kennen. Dann wird es kompliziert. Noch komplizierter ist der Name der Erkrankung, an der immer mehr Menschen leiden. Sie heißt Myalgisches Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue Syndrom – abgekürzt: ME/CFS. Kaum zu merken, schwer auszusprechen. Noch besser ist es, mit dieser heimtückischen neuroimmunologischen Krankheit nicht in Berührung zu kommen. Denn ME/CFS bedeutet Leiden und Siechtum. Es ist ein körperlicher Verfall bis zur totalen Erschöpfung. Nichts geht mehr. Das Schlimme: niemand kann bisher wirklich helfen. Bislang. Das soll, das muss sich ändern, fordert Sibylle Dahrendorf. Die 58-jährige leidet seit fünf Jahren an ME/CFS. Ich kenne Sibylle als aufgeweckte, lebensfrohe Regisseurin und langjährige Mitarbeiterin des legendären Theatermachers Christoph Schlingensief. Sibylle war ein Energiebündel. Jetzt lebt sie zurückgezogen in ihrer Wohnung wie in einer Höhle. Die Berlinerin kann sich kaum noch bewegen.

 

Sibylle Dahrendorf. Regisseurin, Frida Kahlo-Bewunderin. Organisatorin der ME/CFS-Spendenaktion. Quelle: #Sibylle Dahrendorf

 

Was ist ME/CFS? Unser Interview haben wir per Telefon geführt. Die Antworten hat Sibylle autorisiert. Sie ist eine von mindestens 300.000 Deutschen, die an ME/CFS leiden. Tendenz steigend. Es trifft vor allem jüngere und hochmobile Menschen, die viel in der Welt unterwegs sind. Hinzu kommen mittlerweile auch Long-Covid-Erkrankte, die über ähnliche Symptome klagen. Die allermeisten ME/CFS-Geschädigten bekommen keine oder eine falsche Behandlung. Nach der Devise: „Mal entspannen! Wieder Sport treiben und an die frische Luft gehen!“

Wie kam es zu Deiner Erkrankung?

Sibylle Dahrendorf: „Möglicherweise habe ich mir ME/CFS als Folgen von diversen Infektionen das Virus unter anderem 2011 in Burkina Faso geholt. Ich war dort zur Eröffnung von Schlingensiefs Operndorf.  Ich habe mir die Malaria eingefangen. Es war ein schwerer Verlauf, aber ich habe sie gut überstanden. Im gleichen Jahr zuvor hatte ich auch in Burkina Faso eine Lebensmittelmittelvergiftung, die unter anderem mit Fluorchinolonen behandelt wurde. Die Medikamente können Schäden verursacht haben. Daher vermute ich unter anderem die zellulären Schäden. Später in Berlin begannen die Probleme.“

 

Was bedeutet ME/CFS für Dein Leben?

„Die Intensität der Krankheit ist nur schwer zu vermitteln. Sie hat eine zerstörerische Kraft, als ob man im Feuer liegt. Du läufst Marathon und erholst dich nicht. Der Körper fährt nicht runter. Er ist immer im Stress. Mit unter anderem Atemnot und Herzrasen. Es ist wie ein Adrenalinrausch.

 

Wie sieht Dein Alltag aus?

„Jede Form von körperlicher Anstrengung führt zu Überanstrengung. Ich bin entkräftet bis auf die Knochen. Der Körper wehrt sich. Es fühlt sich an, als wäre der Stecker herausgezogen.

Ich habe über 150 Symptome. Ich habe keine Gefäßregulation mehr. Ich bin seit fünf Jahren arbeitsunfähig. Mein Körper fällt auseinander. Ich kann keine zwei Minuten mehr stehen. Ich kann das Haus nicht mehr verlassen.“

 

Gibt es Hilfe?

„Die Krankheit wird von der Politik seit Jahren bewusst ignoriert.“

 

Sibylle Dahrendorf hat mit anderen Betroffenen eine private Spendenaktion ins Leben gerufen. Der Spendenstand liegt derzeit bei rund 180.000 Euro. Forschung ist dringend nötig. Es gibt keine wissenschaftlichen Studien in Deutschland. Die Pharmabranche interessiert sich nicht für diese komplexe Multisystemkrankheit. Nach einer Bundestags-Anhörung im Petitionsausschuss Mitte Februar 2022 kündigte der bayrische Bundestagsabgeordnete Erich Ilstorfer (CSU) zumindest eine erste staatliche Förderung in Höhe von 800.000 Euro an. Sie könnte den Start zu einer Medikamentenstudie an der Uni-Erlangen durch Dr. Bettina Hohberger ermöglichen. Der bayrische Landtag will die Summe Anfang April 2022 genehmigen. Das wäre ein Anfang.

 

Auch der renommierte Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk unterstützt als ME/CFS-Betroffener den Spendenaufruf.

 

Gesucht wird ein Medikament, das hilft. Noch mehr brauchen wir Hoffnung, sagt Sibylle Dahrendorf, dass die rätselhafte Krankheit endlich ernstgenommen wird. Ihre Spendenaktion heißt „Wir fordern Forschung“. Jeder Euro zählt.

Sehr empfehlenswert ist die arte-Doku „Die rätselhafte Krankheit – Leben mit ME/CFS“ von Daniela Schmidt-Langels aus dem Sommer 2021.

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