Amour fou – Teil 3
Frühjahr 1958. Da bin ich im Mai geboren. Meine Mutter meinte, ich sei ein Spätstarter gewesen. Meine Mutter war Musikerin. Sie liebte, nein, sie verehrte in jenen Tagen Ingeborg Bachmann. Die Lyrikerin und Preisträgerin der Gruppe 47 hat in diesem Frühling 1958 ihr Hörspiel „Der gute Gott von Manhattan“ veröffentlicht. Max Frisch arbeitet zeitgleich an den Inszenierungen von Biedermann und die Brandstifter. Frisch schreibt der »jungen Dichterin«, wie begeistert er von ihrem Hörspiel ist. Mit Bachmanns Antwort im Juni 1958 beginnt der Briefwechsel, der, so der Suhrkamp-Verlag, „vom Kennenlernen bis lange nach der Trennung in rund 300 überlieferten Schriftstücken Zeugnis ablegt vom Leben, Lieben und Leiden eines der bekanntesten Paare der deutschsprachigen Literatur“.
Beim dritten Teil vom Amour fou befinden wir uns im Jahre 1959. Der Rausch der ersten Liebe ist verflogen. Der Ton wird abwägender, distanzierter und misstrauischer. Die Briefe sind verletzender und verletzbarer. Es geht um das Verhältnis von „Herr und Magd“. Beide schenken sich nichts. „Wir haben es nicht gut gemacht.“
4. Juli 1959 – Rom Ingeborg Bachmann
„eben kam Dein Expressbrief, diesmal ein geschwinder, es scheint, als wolle die Post die Briefe rascher bringen, die einen verzweifelt machen. Und vor zwei Tagen habe ich Dir noch geschrieben, dass ich nicht zornig bin. Jetzt bin ich doch voll von einem hilflosen Zorn, zumindest voll Auflehnung, und die wird noch öfter kommen, denn man lässt sich doch nicht einfach ein Gefühl vernichten, das für einen das Wichtigste ist, ein abgewiesenes, verurteiltes Gefühl, aber für mich ist es da und es will sich nicht umbringen lassen. Glaubst Du, ich würde sonst seit Ende April herumgehen wie eine Wahnsinnige und jetzt noch jede Nacht herumgehen bis 4 Uhr und 5 Uhr und 6 Uhr früh, – es ist nur, weil ich davon nicht loskomme. …
O Max, aber das ist so schwer, diesen Gedanken zu ertragen, es ist furchtbar zu glauben, dass man dem Mann, den man liebt, nicht genügt hat und keine wirkliche Freude war. Es ist so schlimm wie verstoßen zu werden und es gehört, ganz tief unten, vielleicht zusammen. Wenn ich an alles das denke, meine ich unterzugehen, so viele Steine haben sich an mich gehängt, so wenig Selbstvertrauen ist zurückgeblieben; ich werde nie mehr glauben können, dass jemand imstande ist, mich zu lieben, werde immer denken müssen an diese Aussätzigkeit. …
bist so grausam gegen mich, dass ich manchmal einfach mitten auf der Straße zu schreien anfangen möchte, so fürchterlich schreien, dass alles zusammenfällt oder hier in dieser finsteren angeräumten Wohnung, bis sie nicht mehr da ist und ich selbst nicht mehr und überhaupt nichts. … Rom ist öde, nebenbei natürlich schön wie immer, aber man müsste Augen dafür haben. Es war eine der größten Dummheiten, jetzt hierher zu gehen, einen Grund sage ich Dir erst später, aber nun ist nichts mehr zu machen und ich werde es schon durchstehen.
Deine Ingeborg“
10. Juli 1959 Freitag nachts – Rom Ingeborg Bachmann
„Du hast dieses Wort aufgebracht von „Herr und Magd“, das mich zuerst verwundert hat, aber es ist etwas Richtiges dran, und seit ich alles hundertmal durchsuche in der vergangenen Zeit nach Fehlerquellen, glaube ich, diese eine gefunden zu haben. Freilich kann man sie kaum aus der Welt schaffen, denn sie hängt für mich mit dem Altersunterschied zusammen, mit dem sonst ja nichts zusammenhängt. …
Max, es ist so schwer zu erklären, aber ich habe nur ganz selten das Gefühl der Gleichberechtigung, der gleichen Stufen zwischen uns. Ich stehe von Anfang an etwas unter Dir oder hinter Dir, Du hast es bestimmt nicht gewollt und ich auch nicht, aber es bringt Dich dazu, mit mir zu reden manchmal wie zu einer Schülerin, bald liebevoll, bald tadelnd. Ich bin aber, wenn ich nicht bei Dir bin, auch erwachsen, einem Mann gewachsen und lasse mir, wie die Brechtmädchen sagen würden, nichts gefallen. …
Deine Ingeborg.
Ich hoffe, dieser langweilige Nachtbrief ohne Inhalt langweilt Dich nicht zu sehr! Verzeih.“
16./17. Juli 1959 – Uetikon/Schweiz Max Frisch
„Es ist entsetzlich, Ingeborg, was du mir berichtest, dass du überhaupt nicht arbeiten kannst. Ich verstehe es, indem ich die äußeren Umstände erfahre. Rom wird für mich der Name einer Schuld. Im Winter dachte ich, Rom sei der Name unseres Sommers. Ich sah dich, als ich im Krankenbett lag und Rom sagte, unter fröhlichen Freunden in einer Stadt, wo Du am ehesten, so meinte ich immer, heimisch bist, ich war schon eifersüchtig auf deine Heiterkeit ohne mich. …
Wo habe ich dich, was das Geld betrifft so gekränkt? Du bist zutiefst gekränkt überhaupt, voll Hader gegen mich und wie ein Opfer. Inge, es ist seltsam, wenn ich deine Briefe wieder lese deine Briefe jetzt; zuerst freue ich mich über jedes Zeichen von Dir, bin bestürzt, wenn ich dich in so widrigen Umständen sehe, und froh um jeden Satz, der uns eine Zukunft lässt. Beim Wiederlesen dann suche ich nach Spuren der Zärtlichkeit, erschreckt, es ist, als habe ich sie mir nur eingebildet; hervortritt aus jeder Zeile, scheint mir dann der unausgesprochene Vorwurf, der zunehmende Groll, die Anklage mehr und mehr. …
Wir sollten einander nicht verklagen, wenn wir nicht arbeiten können; mir jedenfalls ist die Unfruchtbarkeit in allen Lebenslagen vertraut. Wir sollten nicht zusammenwohnen, sagte ich, und es war ein Schock für Dich, Du schriebst, dass ich Dich nicht liebe, dass ich keine Liebe habe zu deinem Körper; Du fühlst dich verstoßen, und in jedem Brief, fast in jedem, lese ich deine Bitterkeit darüber, indem Du dich unterwirfst wie eine Erniedrigte, dem Gedanken an getrennte Wohnungen unterwirfst, der Dir im Grunde unannehmbar ist, sagst Du, und ich bin es, der das Unannehmbare fordert. Wäre es doch so. …
Betroffen hat mich, Inge, was Du über „Herr und Magd“, sagst. Nicht wegen Altersunterschied, womit Du es begründest. Betroffen, weil Trudy mir öfters dasselbe gesagt hat. Ich weiß es nicht, dass ich unterdrücke; ich muss es glauben es kommt mir kurios vor, dass jemand mich fürchtet. Ich muss es glauben, da man es mir in meinem Leben mehr als einmal sagt. …
Bin ich eine Mimose ein Tyrann aus Mimosenhaftigkeit? ein Grobian aus verlorener Spontaneität, mag sein. Erinnerst Du dich, wie ich mich, wie es mich nervös machte, als du immer einen Schritt hinter mir gingst? Ich wünsche es mir von keiner Frau, Dir glaube ich es auch gar nicht. Woher fragst du soll die Gleichberechtigung bei uns kommen? Einiges ließe sich im Vordergrund erklären. Du bist nicht nur ungewöhnlich gescheit, Du bist eine Dichterin, dazu bist du auch noch eine Frau; Du bist gewöhnt, dass Du auf Händen getragen wirst, wobei die Hände es leicht haben; es musste dich vorerst irritieren. Inge, dass ich dich nicht auf Händen trage. Hat sich Gleichberechtigung nicht oft für dich so ausgenommen, dass Du, ohne dich in Szene zu setzen, der Mittelpunkt bis? Du brauchst das, und das ist kein Übel; aber, dass ich mich zu Hause zum Herrn mache dir gegenüber, das ist ein Übel. … So grüßt Dich, Geliebte, dein Herr.“
Leonard Cohen übernimmt mit Suzanne Anfang/Mitte der sechziger Jahre einen Song über eine unerfüllte Liebe.
Amour fou – Fortsetzung folgt