Wo ist Kamala?
„Lass dir von niemanden sagen, wer du bist. Sag du ihnen, wer du bist.“ Mamas Motto für Kamala Harris, Vizepräsidentin der USA. Das Einwandererkind, das es bis ganz nach oben geschafft hat. Vater Donald, ein Wirtschaftswissenschaftler aus Jamaika, Mutter Shyamala Gopalan aus dem Südosten Indiens, Krebsforscherin. Ihre Eltern waren wie Feuer und Wasser. Sie nannten ihre Tochter Kamala, das bedeutet Lotusblüte. Die Kleine war fünf, als sie sich trennten. Und doch symbolisiert Kamala den amerikanischen Traum: „Du kannst die Erste sein, aber bleib nicht die Einzige“. Kamala, die Perfektionistin. Malocherin. „Top-Cop“, Kämpferin für Gerechtigkeit.
Viele fragen sich: Was macht die große Hoffnungsträgerin? Warum hört man nichts? Liegt es an den Medien, an der Bürde des Amtes oder an ihr? Zu ihrer Halbzeitbilanz twitterte die 58-jährige lediglich: „Nach zwei Jahren im Amt kann ich zuversichtlich sagen, dass wir an einer besseren Zukunft arbeiten.“
Die Zeit schreibt, sie sei nicht nur für ihre Fans eine Enttäuschung. Die Welt kolportiert Beschwerden aus dem Weißen Haus, Mitarbeiter müssten sich erheben, wenn sie einen Raum betrete. Kaum zu glauben. Vor ihrem Amtsantritt sagte sie: „Wenn man durch die gläserne Decke stößt, dann schneidet man sich, und es tut weh. Es geht nicht ohne Schmerz.“ Kamala Harris hat als schwarze Zuwanderertochter „zweischneidige Erfahrungen“ gemacht. Ein starkes Gefühl der Zielstrebigkeit und Hoffnung, einen „tiefen Glauben an den amerikanischen Traum und die unbegrenzten Möglichkeiten“. Zugleich erfuhr sie alltäglich Vorurteile, Schuldzuweisungen und Diskriminierung. Jede Passkontrolle als Herausforderung.
„Schau dich um. Denk nach“, gab ihre Mutter Kamala auf den Weg: Aufgeben gilt nicht. Doch selbst die Kämpferin stößt an Grenzen. Ihre geliebte Mutter, die Krebsforscherin, erliegt 2009 genau der Krankheit. Sie studiert Jura, stürzt sich in Arbeit. Als erste schwarze Bezirksstaatsanwältin kämpft sie gegen eine „kaputte Strafjustiz“, mit Willkür und Rassismus. Sie ermittelt wegen Mord, Menschenschmuggel, Hassverbrechen, Kindesmissbrauch, Vergewaltigung, Schulschwänzer, Bankenopfer, betrogene Studenten (Corinthian Colleges) kriminelle Banden. Sie kämpft für Zuwanderer, Frauen und Senioren, gegen Abschiebung von Einwandererkindern. Und sie macht Karriere, an der Seite des zuweilen senilen Joe Biden bis hinauf ins Weiße Haus.
„Ich bin überzeugt, dass es kein stärkeres Mittel gegen das Gift unserer Zeit gibt als gegenseitiges Vertrauen.“ So verspricht sie für ihre Vizepräsidentschaft gegen Masseninhaftierungen, Pharmakonzerne, Kredithaie und die Leugnung des Klimawandels vorzugehen. In ihren ersten Amtsjahren reibt sie sich jedoch eher an der Reform des Wahlrechts auf, achtet als Vize penibel darauf, nicht die Kreise des Chefs, des Präsidenten zu stören. Auffällig: Für die Linken ist sie nicht „schwarz“ und progressiv genug, für die Rechten ist sie als People of Colour im Weißen Haus eine tägliche Provokation. Demnächst hält Joe Biden zur Halbzeitbilanz seine Rede zur Lage der Nation. Kamala Harris steht an seiner Seite, lächelt routiniert und kontrolliert. Nicht mehr unbefangen, selbstbewusst und fröhlich wie früher. Ist das der Preis der Macht?
Im Hause Harris eine Hymne. Aretha Franklins: Young, gifted and black.