„Große Schwester“
Wie bitte? Ihr Partner gendert nicht! Ihr Chef reißt fahle Alt-Herren-Witze! Der dicke Nachbar schimpft über feministische Außenpolitik?! So was von gestern. Aufgepasst: Hilfe naht. Sollten Sie im Bekanntenkreis, am Arbeitsplatz oder beim Familientreffen antifeministische Zoten vom Kümmerling bechernden Onkel aus Buxtehude ertragen müssen, einfach melden, und zwar bei der neuen Meldestelle Antifeminismus. Der offizielle Titel lautet: „Meldestelle für Betroffene von Hass gegen Frauen und andere geschlechtliche Minderheiten“. Sollte es sich beim Onkel aus Buxtehude um eine „Person öffentlichen Interesses“ handeln, können Sie ihn ruhig namentlich nennen. Start frei für „Germanys Next Top Blaming“.
„Wir sind überrannt worden – es ist erschreckend zu sehen, wie viele Fälle schon reingekommen sind“, sagt Judith Rahner, Initiatorin der Meldestelle bei der Antonio-Stiftung der WELT. Endlich können „organisierte Kampagnen gegen geschlechtergerechte Sprache“ oder „Angriffe auf queere Menschen und Einrichtungen“ gemeldet werden. Eingehende Daten würden nach Art und Anlass kategorisiert. Das gesammelte Wissen soll zur Schulung für Polizei und Justiz genutzt worden. Kritik an der staatlichen Meldestelle kontert das federführende Familienministerium: „Bitte beachten Sie, dass grundsätzlich keine Klarnamen oder persönlicher Personen mitgeteilt werden“. Ausnahme, „sofern es sich nicht um Personen öffentlichen Interesses handelt“. Wie gesagt, Achtung! Ihr Brüderles, Kubickis, Lindners und alle anderen im Lande: Zügelt Eure Zungen.
Wäre es da nicht konsequent weitere Meldestellen einzurichten? Für eine bessere Politik, im Namen des Fortschritts? Der Urtrieb des Menschen missliebige Menschen anzuschwärzen ist unermesslich und kann optimiert werden. Was ist mit abfälligen Äußerungen über Klimawandel, Elektroautos, Lastenfahrräder, Corona-Impfungen, Hafermilchtrinker oder Mitglieder der Bundesregierung? Kurzum: warum nicht politisch unkorrekte Worte oder Witze direkt melden können? Sinnvoll wäre zurzeit auch eine Meldestelle Putinversteher oder eine Meldestelle Grundsteuerverweigerer. (hier bitte eigene Wünsche ergänzen und an die Bundesregierung schicken) Somit könnte „total innovativ“ und mit viel Wumms eine neue Dimension der Debattenkultur nach dem deutschen Reinheitsgebot erreicht werden. Melden. Enter. Genau.
„Winstons Umerziehung macht Fortschritte. Er übt sich im „Doppeldenk“: widersprechende Argumente entweder gar nicht sehen oder nicht begreifen. Doch als ihm Julia im Traum erscheint und er laut nach ihr ruft, erkennt O’Brien, dass Winstons Liebe zu Julia ungebrochen ist. Er wird in das berüchtigte Zimmer 101 gebracht. Dort erwartet jeden Menschen seine persönliche Hölle. Danach glaubt Winston endlich frei zu sein, durch seine neu entdeckte Liebe zum Großen Bruder. Die Gehirnwäsche war erfolgreich.“
Wir ersetzen Orwells Großen Bruder (1984) durch das 2023 zeitgemäßere Große Schwester. So könnte das grüne „Petz-Portal“ zur Erlangung von „Täter*innendaten“ (Antonio-Stiftung), ausgestattet mit Staatsknete und dem Versprechen „ausnahmslos anonymisiert“ zu sein, in eine progressive Zukunft führen. Wer das meint, glaubt vermutlich auch, dass Zitronenfalter Zitronen falten. Sorry, Falter*innen!