Vom Wollen zum Können
Caspar David Friedrich ist heute ein Superstar. Zu Lebzeiten verkaufte er kaum Bilder. Seine Einnahmen reichten für Farbe und Pinsel und gerade mal für seine kleine Familie. Heute wird ein einfacher Skizzenblock für ein Mindestangebot in Höhe von einer Million Euro angeboten. Von solchen Summen hätte Kurt Sonn (1933-2020) nur träumen können. Sonn war ein äußerst kreativer und fleißiger Landschaftsmaler, aber kommerziell wenig erfolgreich – und er war mein Patenonkel. Über dreitausend Bilder, Zeichnungen und Skizzen hinterließ er. Für Märklin entwickelte er als Grafiker das Outfit, für die Reha-Einrichtung auf der Bodensee-Halbinsel Mettnau das Design, für den Süddeutschen Rundfunk Zeichentrickfiguren. Seine Brotjobs. Auf seinen heimatlichen Wanderungen ließ er sich von der Natur inspirieren. An der Costa Blanca, seinem Sehnsuchtsort, saugte er mediterrane Farbenpracht auf und bannte sie auf die Leinwand.
Sein Leben war Entdecken und Staunen, Malen und Komponieren. In seinem großen Atelier roch es herrlich nach Farbe. Sonn faszinierte der Morgenhimmel. Er beobachtete das Spiel der Wolken und begeisterte sich am Wechsel der Jahreszeiten. Seine in den Grundtönen rot, braun, mit gelben Sonnentupfern oder Flächen versehenen Landschaftsmotive folgen der expressionistischen Schule von Kandinsky und Gabriele Münter. Abstraktion der Natur auf Basis der Romantik mit starker Tendenz zum Kontrast. „Vom Wollen zum Können voranschreitend“, wie es im berühmten Manifest von 1916 heißt.
Kurt Sonn fand seine Bestimmung in der Natur. Sein Gegenbild zur zerstörerischen Kraft der Menschheit in Zeiten von Gewinnstreben und Globalisierung. Er hasste den Krieg. Als kleiner Junge erlebte der 1933 geborene den (un)aufhaltsamen Aufstieg und totalen Ruin der Nazis. „Das waren Verbrecher. Sie zerstörten unsere Jugend“. Harmonische Farben und Formen waren seine Antwort auf Ausplünderung und Zerstörung des Planeten. Sein Atelier in der (weitgehend) heilen Unberührtheit der lieblichen schwäbischen Heimat beflügelte ihn wie seine geliebten mediterranen Motive. Sonn war kein heimattümelnder, weltfremder Maler. Er suchte Halt im Glauben, erlebte im Gespräch mit Gott Momente des Glücks aber auch tiefer Verzweiflung.
Kurt Sonn war kein Performer, kein lautstarker Selbstdarsteller im selbstverliebten Kunstbetrieb. Er schaffte es nicht auf exklusive Vernissagen oder große Messen. Unverdrossen rang er um die richtige Komposition, die passende Mischung von Farben, Formen und Figuren. Stets suchte er den richtigen Ton. Ruhig und bescheiden, in seine Arbeit vertieft und äußerst konsequent. Ruhm und Anerkennung blieben ihm versagt. Fragen, ob er deshalb enttäuscht sei, lächelte er weg. „Ich habe doch meine Kunst.“
„Schau dir die Natur an! Jeder Sonnenuntergang zaubert jeden Abend ein anderes Licht. Die Natur ist unsere beste Lehrmeisterin“. Der Künstler komponierte nicht nur Farben, er experimentierte auch mit Tönen und Worten. Am Klavier oder an der Schreibmaschine. Bis wenige Tage vor seinem Tod 2020 malte er nahezu jeden Tag ein neues Bild. Natur, Landschaften, Hügel, Dörfer, Kirchen. In den warmen, sonnigen Kurt-Sonn-Farben, die es zu entdecken gilt.