Berlins längste Röhre
Fehrbelliner Platz. „Einsteigen, bitte!“ In der U7 kannst du Berlin hautnah erleben. Der alltägliche Untergrund. Authentisch, ungeschminkt, ruppig und überraschend wie die Stadt. Willkommen in Berlins Bandwurm U-Bahn von Spandau nach Rudow, unweit vom Flughafen BER. Die U7 ist die längste unterirdisch verlaufende U-Bahn-Linie Deutschlands. Eine Zeit lang war sie sogar der längste Tunnel der Welt. Der Spaß kostet 3.50, – im Einzelfahrschein. Die Strecke ist 32 Kilometer lang, zählt vierzig Stationen. Die Fahrt durch die längste Röhre der Hauptstadt dauert eine knappe Stunde.
„Zurück bleiben!“ In vollen Zügen riecht es nach Alk, Schweiß, Parfum, kaltem Rauch und immer häufiger nach Armut. An den Haltestellen kannst du rasch die sozialen Milieus oberhalb am Tageslicht erkennen. Auf das piefige Spandau, folgen die bürgerlichen Enklaven Charlottenburg und Wilmersdorf. Das lebendige Schöneberg endet abrupt im dunklen Drogenloch U-7-Yorckstraße in Kreuzberg. Weiter geht die Reise im 5-Minutentakt zum sogenannten „Gazastreifen“, der spätestens am Hermannplatz beginnt, mit allem Licht und Schatten, was Berlin zu bieten hat. Schließlich wird es Richtung Rudow wieder etwas entspannter und braver.
„Hey, von der Tür weg. Sonst mach ich Pause!“ dröhnt es aus dem Lautsprecher. Die U7 transportiert die ganze Welt aus über 150 Nationen. Berufstätige, Pendler, Schüler, Studis, Rentner, Selbstdarsteller, Paradiesvögel, Touris, Bettler, Obdachlose, alles ist an Bord. Alle vier, fünf Stationen kann jemand mit Programm zusteigen. Text ungefähr so: „Tach. Ich bin Rudolf, unfreiwillig auf der Straße. Ich weiß, ich nerve. Ich weiß aber nicht, wo ich heute schlafen soll. Jede kleine Spende hilft. Ein Apfel, zwei Groschen, kann auch mehr sein, Ihre Pfandflasche. Bleiben Sie gesund. Gute Weiterfahrt.“ Nach seinem Kurzauftritt schiebt sich der Verzweifelte durch die stumme Menge. Sogleich kreist ein schmutziger Becher vor deiner Nase, du sollst etwas geben. Dein abgebrühtes Großstadt-Gesicht verhärtet sich zu Beton. Schon der dritte Schnorrer heute. Sollen doch andere etwas geben. Ich kann nicht alle in Not retten…“
„Knocking on heavens door…!“ Ein Australier quält seine Gitarre und die meisten Mitfahrenden. Er meint, Bob Dylan zu sein. Eine Migrantenmama brüllt in ihr Smartphone. Der Ton ist voll aufgedreht. Ein Alki ist eingeschlafen. Er lümmelt auf der Bank in voller Länge. Plötzlich steigen zwei Aufpasser vom Ordnungsdienst zu. „Geschlafen wird hier nicht“, sagt der Kräftigere in gebrochenem Deutsch und rüttelt den Mann wach. „Lass ihn doch pennen“, kontert eine junge Frau mit lila rot gefärbtem Haar. „Er stört doch keinen.“ Wortlos schnappen sich die beiden Bodybuilder-Jungs den verkaterten Kerl und bugsieren ihn beim nächsten Halt auf den Bahnsteig. Sie gestikulieren noch: „Bruder. Dort Ausgang. Tschüss!“
507 Gewalttaten verzeichnet die Statistik in einem Jahr. Die U7 liegt auf Platz zwei in der Hauptstadt. Schlimmer ist nur noch die U8. Selbst die kräftigen Kontrolletis fürchten Messerattacken. Stiche in den Oberkörper zählen bei Gericht als „schwere Körperverletzung“. Stiche in den Oberschenkel dagegen als „versuchten Mord“, wegen der Hauptschlagader. Wen sie ohne Ticket antreffen, dem sagen sie: „Wenn du nichts zahlst, musst du Strafe, Bruder.“ Trotz alledem fahre ich fast täglich U-Bahn. Nicht aus Leidenschaft, aber sie bringt mich in der verstopften Stadt schnell ans Ziel. Trotz aller Vorfälle und Schlagzeilen fühle ich mich sicher. Wenn die U-Bahn nur nicht so oft ausfallen würde wie in jüngster Zeit. In späten Abendstunden kommt sie manchmal gar nicht mehr. Die Gründe sind so vielfältig wie Berlin. Baustellen. Personalmangel. Grippewelle. Kabeldiebstahl. Oder das allseits beliebte: „Störungen im Betriebsablauf!“
„Nächster Halt: Fehrbelliner Platz.“ Meine Station an der längsten Berliner U-Bahn-Linie U7. Irgendwo in den langen Gängen streiten sich übermütige Kids. „Kriegst gleich was auf die Fresse.“ Ich ziehe den Kopf ein, eile die Treppen hoch, laufe den krumm gebogenen Bahnsteig der U3 entlang, Richtung Ausgang Hohenzollerndamm. An der letzten Bank ist der Stammplatz der Trinkerfraktion. Die Sterni-Flaschen kreisen. Im Beutel scheppern leere Pfandflaschen. Einer steckt sich seine selbstgedrehte Kippe an. „Hör uff! Roochen is verboten, weeßte doch!“ lallt sein Banknachbar. Der Kippenmann winkt ab: „Is mir doch egal!“
Ja, genau so ist es auf dieser Strecke. Schön beschrieben! Viele Erinnerungen an die Zeit wurden wach, in der ich selbst die U 7 so häufig benutzt habe.
Kontrolletis – herrliches Wort! So nenne ich die Typen auch. Ich kenne das Wort aus den Comics von Seyfried.