Hamburg, Juni 1936. Blohm & Voss. Stapellauf des Segelschulschiffes "Horst Wessel".

Die Kunst der Verführung

Können wir aus der Geschichte lernen? Oder tappen wir heute wieder in die gleiche Falle? Haben wir keine Schlüsse gezogen aus den Erfahrungen unserer Eltern und Großeltern? Das neues Kino-Dokudrama „Führer und Verführer“ erzählt über die Kraft der Lügen und die Macht der Inszenierung. Dies sei ein Film für heute, heißt es. Es geht um die Geschichte der Verführung eines ganzen Volkes. Ein Meister der Inszenierung aus Deutschland war NS-Propagandaminister Joseph Goebbels. Robert Stadlober spielt diesen schreienden, schmeichelnden, genialisch verführerischen, abgrundtief hassenden Rheinländer mit Hut und Hinkefuß. Goebbels: „Propaganda ist eine Kunst wie die Malerei. Wir schaffen Bilder, die bleiben werden. Wir gehen in die Geschichte ein.“

In einer Mischung aus Spiel- und Dokumentarszenen zeichnet der gut zweistündige Film eine Innenansicht der geschlossenen Welt des Ehepaars Goebbels. Hitler (dargestellt von Fritz Karl) ist ihr Held, Fixstern und Bestimmer. Goebbels über Hitler: „Mein Hexenmeister hat wieder gezaubert“. Ein Trio Infernale, zu allem entschlossen, das so viel Anklang, Aufmerksamkeit und Gefolgschaft findet. Bereit für ihre „höhere Bestimmung“ alles zu tun, was befohlen wird. Der Weg ins Verderben ist kurz. Von „Deutschland erwache“ über Goebbels Sportpalastrede vom „totalen Krieg“ bis zur Götterdämmerung im April 1945. Der NS-Untergang mit Durchhalteparolen und einer nibelungischen „Treue bis in den Tod.“  Am Ende opfert Goebbels sich, seine Ehefrau Magda (Franziska Weisz) und deren sechs Kinder „für Deutschland“, wie es heißt.

 

 

Eine der Thesen des Films: Die Nazis haben äußerst erfolgreich Bilder, Legenden und einen Führer-Mythos geschaffen. Bilder, die bis heute in unseren Köpfen herumspuken. Das Goebbels-Gift wirke bis ins TikTok-Zeitalter nach, meint Regisseur Joachim A. Lang. Sein Film zeigt Hitler, Goebbels und Co nicht als Monster, sondern als „normale“ Menschen, nur so seien ihr Wesen und ihr Charakter besser zu erfassen. Denn das Nazi-System hätten Menschen erschaffen, keine Dämonen, wie es Thomas Mann einmal ausdrückte. Das bedeute im Umkehrschluss: Menschen können das Gewalt-, Willkür- und Propagandasystem auch verhindern. Regisseur Lang möchte den Kern des NS-Systems freilegen. Er will Goebbels „beim Lügen über die Schulter schauen“.

Wie werden wir resistent gegen die Kunst der Verführung? Mit ihren einfachen Parolen und schnellen Lösungen? Mit ständiger Angstmache, Hetze und dem Beschwören des ewigen Sündenbocks. Goebbels ließ Propagandastreifen produzieren wie „Jud Süß“, „Der ewige Jude“ oder „Kolberg“. Das kam an. Die Überlebende Margot Friedländer, mittlerweile biblische 102 Jahre alt, sagt am Ende des Films: „Menschen haben es getan, weil sie andere nicht als Menschen anerkannt haben.“ Und weiter: „Was war, kann so schnell wieder geschehen. Nur, wer die Gefahr der Verführung kennt, kann mit all den Einflüssen aus den Medien bewusst umgehen.“

 

 

So verhallt ihr Appell – „Sei ein Mensch“ – in der Dunkelheit des halbvollen Kinosaals. Draußen flanieren noch einige Berliner Nachtschwärmer. Ein junger Mann streitet am Smartphone lautstark mit seiner Mutter. Jeder kann es hören: „Papa hat mich Arschloch genannt. Und Du blendest das aus. Du bist im falschen Film.“ Irritiert ziehe ich weiter nach Hause, im Kopf die vielen Goebbels-Sprüche. „Führer und Verführer“ ist keine leichte Sommerkost. Aber ein wichtiger Film zur richtigen Zeit, aus dem man klüger herausgeht.

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