Die Desdemona von Netzeband. Foto: Uta Chrost

Fuck you, Othello

Sommerzeit. Chance zum Abschalten, Runterkommen und Entdecken. Es muss keine Weltreise sein. Keine überfüllten Autobahnen, Flughäfen oder Züge. Manches Ziel liegt sehr nahe. Immer wieder Neues entdecken kann man im kleinen brandenburgischen Netzeband in der Nähe von Neuruppin. Mit dem PKW ist es von Berlin eine gute Stunde entfernt, wenn alles klappt, aber das Beste: Netzeband hat einen eigenen Bahnanschluss und kann mit der RE6 alle zwei Stunden erreicht werden.

Das vergessene Straßendorf hat der Düsseldorfer Landschaftsarchitekt Horst Wagenfeld nach der Wende wachgeküsst. Seit dreißig Jahren lebt nun das knapp 200-Seelen-Theaterdorf seinen Traum. Und der heißt: Kunst und Kultur für alle. Theater, Klassik, Jazz, Disco, Lesungen, kurz: das volle Programm. Das Besondere: Alle machen mit – vom Klempner bis zur Computer-Spezialistin. Vor, auf und hinter der Bühne. Regisseur und Mitbegründer Frank Matthus: Es gibt ein bisschen den Spaß, dass wer bei uns beim Catering oder auf der Bühne steht, der muss mindestens einen Doktorabschluss haben.“

 

Wohin hat sich Othello verlaufen? Wer zeigt ihm den richtigen Weg? Foto: Uta Chrost

 

In diesem Sommer steht das neue Masken-Synchrontheaterstück Othello von Shakespeare auf dem Spielplan. Regie: Hans Machowiak. Synchrontheater bedeutet: Die Stimmen kommen vom Band. Liebevoll gefertigte Masken und Kostüme tragen Zugezogene wie Einheimische. Die Kulisse: Ein herrlicher Gutspark. Othello verhandelt Macht, Intrigen und Eifersucht. Natürlich zieht Jago, der Untergebene von Othello, alle Register der verführerischen Schmeichelei und Hinterlist. Zeitlos aktuell, verankert in kriegerischen Zeiten, modernisiert mit Musikeinlagen von Seeed bis Roger Whitaker. Jago will Fuck you Othello aus dem Feld räumen. Gelingt das? Ebenfalls neu: Das Familien- und Kinderstück Regentrude von Theodor Storm. Regie: Judith Zieprig. Gleichfalls eine hochaktuelle Geschichte für Kleine und Große über Hitze und Dürre. Was tun, wenn Regen so wertvoll wird wie ein Sack Goldtaler? Hier sucht das Ensemble, wieder eine Mischung aus Profis und Laien, auf einer Naturbühne nach Antworten. Spielerisch und ganz ohne Maske.

 

Der magische Moment. Kommt an, was auf der Bühne der Welt gezeigt wurde? Das Ensemble von Othello in Netzeband. Foto: Uta Chrost

 

Seit fast dreißig Jahren zeigt der Theatersommer Netzeband den Klassiker „Unter dem Milchwald“. Das Kultstück von Dylan Thomas über einen Frühlingstag in einem kleinen walisischen Ort – mit selbstgebauten Puppen und Stimmen vom Band. Der Milchwald war so eine Art Urknall für das bundesweit einmalige Synchrontheater. Raus aufs Land! Netzeband steht für das Zusammenwachsen von Ost und West. Frank Matthus: „Wenn das Publikum dann wirklich jubelt, und wir die Masken abnehmen, dann sieht man glückliche Gesichter. Das ist was Schönes.“ Das zählt. Egal wieviel Arbeit Theater macht und wie schmal die Fördertöpfe geworden sind. Gemeinsam macht alles mehr Spaß. Draußen in der Sommerfrische mit Theater, Natur und Kultur. Wahrhaftiges Leben ist Begegnung. Und das ist am vermeintlichen Ende der Welt auf eine sehr schöne Art möglich.

 

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