Modell eines menschlichen Auges. Nürnberg um 1700. Quelle: DHM

Im Auge der Aufklärung

Was sehen wir? Was erleben wir gerade? Eine aufgeklärte, vernunftbetonte Epoche? Oder überrollt uns in diesen Zeiten die Gegenaufklärung? Mit Desinformation, Manipulation und KI-gesteuerten Deep Fakes? Wer nach Antworten sucht, bleibt mit seinen Fragen oft allein. Es geht um das Menschheitsprojekt Aufklärung. Was hat sich seit den Zeiten von Immanuel Kant verbessert? Der Mann mit der Denkerstirn quält uns seit fast zweihundertfünfzig Jahren mit seinem einfachen Credo: „Aufklärung ist der Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit.“ Der Kern seiner „Kritik der reinen Vernunft“ bedeutet: „Sapere aude. Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen.“

 

Immanuel Kant. Kritik der reinen Vernunft. 1781. Sein Versuch, die innere und äußere Welt zusammenzudenken.

 

Was ist Aufklärung? Fragen an das 18. Jahrhundert. Eine neue, ambitionierte Ausstellung im Deutschen Historischen Museum (DHM) in Berlin will Anfänge und Geschichte der Aufklärung erzählen. 387 Objekte sind zu sehen. Vom künstlichen Auge bis zur Erklärung der Menschenrechte. Das Versprechen von damals: Mehr Wissen, mehr Vernunft, mehr Teilhabe. Was bedeutet diese Menschheitsidee heute – im Zeitalter von Google, TikTok und Künstlicher Intelligenz? Viel, betont Raphael Gross, Hausherr des DHM: „Statt mächtigen Emotionen zu folgen, müssen wir Unterscheidungen treffen – nach Gründen für ein Geschehen fragen. Etwa für das Anwachsen von Rassismus. Etwa für die massiv gestiegene Anzahl antisemitischer Straftaten. Etwa für die rapide Schwächung demokratischer Parteien.“

 

„Zwischen Wissenschaft und Ehe“. Aufklärung im 18. Jahrhundert war eine reine Männerdomäne. Das Gemälde von Georg Melchior Kraus (ca. 1770/1776) zeigt ein streitendes Ehepaar. Er verweigert ihr den Zugang zu Wissen und Büchern.

 

Aufklärung bedeute nicht, dass alle einer Meinung sein müssen, sagen die Ausstellungsmacher. Nur: ein gemeinsames Gespräch über unterschiedliche Meinungen ist Grundvoraussetzung, sonst geht nichts. Bleibt die Aufklärung, als erklärte Herrschaft der Vernunft, ein frommer Wunsch? Liliane Weissberg, Kuratorin aus Pennsylvania, lächelt. Sie weiß, wie paradox Aufklärung sein kann. „Nehmen wir Thomas Jefferson, der die Menschenrechte erklärt hat. Was viele nicht wissen: Er hatte Sklaven.“ Viele. Im Laufe seines Lebens bis zu 600. So findet sich im Historischen Museum neben der berühmten Erklärung der Menschenrechte des US-Gründervaters eine genaue Auflistung seiner Sklaven. – Alle sind frei? Alle sind gleich? – Von wegen. Ein genauer Blick enthüllt die Realität. Ein Highlight der Ausstellung, ganz im Geiste der Aufklärung.

 

Eine der Sklaven-Listen von Thomas Jeffersons (1743-1826). Einer der Gründungsväter der Vereinigten Staaten deklarierte die Ideen der Aufklärung, wonach „alle Menschen von Natur aus frei, gleich und mit denselben angeborenen Rechten ausgestattet sind“.

 

Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Sind solche Ideen mittlerweile museumsreif? Die fünfzehnjährige Romy meint: „Aufklärung hat auf jeden Fall etwas gebracht. Die Welt ist größer geworden. Man konzentriert sich nicht nur auf das eigene Land. Sonst würden wir wahrscheinlich noch im Mittelalter sein.“ Gibt es Fortschritte? Moritz, 23, überlegt: „Ich würde nicht sagen, wir leben in einer aufgeklärten Welt, dann würde die Welt ja funktionieren. Aber wir haben Fortschritte erzielt. Vor allem durch soziale Medien können schnell Wissen und Meinungen verbreitet werden. Da hat jeder die Möglichkeit gehört zu werden, vorausgesetzt man hat Zugang zu den Medien.“ Romy und Moritz gehören zu einem jungen Team, das mit dem Projekt Aufklärung Now für frischen Wind in der Ausstellung sorgen soll.

 

Romy und Moritz sind am Projekt Aufklärung Now beteiligt. In Workshops sammelten sie Fragen und Ideen zur Aufklärung.

 

Was bleibt? Aufklärung wirkt nur, wenn deren Ideen weitergetragen werden. Kurzum: Sei mutig. Wage Deinen Verstand zu benutzen.

 

Was ist Aufklärung? Deutsches Historisches Museum Berlin. Bis 6. April 2025.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.