Archive for : März, 2025

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„Der Autor meines Lebens“

Ein bekannter Schauspieler trifft einen verkannten Schriftsteller. Charly Hübner auf den Spuren von Uwe Johnson. Uwe wer? Hübner hat mit seinem kleinen 125-seitigen Text „Wenn du wüsstest, was ich weiß“ eine große Liebeserklärung an den Schriftsteller Uwe Johnson (1934-1984) verfasst. Er ist der „Autor meines Lebens“, notiert Hübner, einer der beliebtesten Schauspieler Deutschlands, „weil er in einem Kindheitstraum von mir sehr nahe kommt: die Idee einer Maschine, die den ganzen Strom des Denkens, den Lauf der Dinge und des Lebens festhält, niederschreibt, markiert.“ Johnson sei „ein Kind und Narr“. Charly Hübner schwärmt in vollen Zügen: „Weltliteratur aus der Heimat also? Das war neu. Das war unglaubwürdig. Das war wirklich cool.“

 

Uwe Johnson. (1934-1984). Im Zeughauskino Berlin ist am 17. Mai 2025, 20.00 Uhr die Doku zu sehen: „Uwe Johnsons sieht fern“.

 

Wer war Uwe Johnson? Ein eigensinniger Dickschädel und ein heimatloser Intellektueller. 1934 geboren, schildert er in seinem Hauptwerk Jahrestage Menschen und Landschaften zwischen Stadt und Land, Ost und West, New York und Mecklenburg. Rastlos ist Johnson unterwegs, nirgendwo zu Hause. Geboren in Pommernland, seine Heimat Anklam im Krieg abgebrannt. Aufgewachsen in der Barlach-Stadt Güstrow. Studium in den DDR-Fünfzigern in Rostock und Leipzig. An der Uni sucht er Wahrheit, findet jedoch nur Dogmen, Linientreue und Verrat. Er stolpert in Konflikte mit Parteifunktionären, die ihm die Luft zum Atmen nehmen.

 

Uwe Johnsons Studienbuch. Universität Rostock/DDR.

 

Wechsel, „nicht Flucht“, wie er stets betonte, von Ost- nach West-Berlin. Mitglied des legendären Literaturclubs Gruppe 47. Aus dem beschaulichen West-Berliner Friedenau folgt der große Sprung nach New York. Danach Exil in einer armen, heruntergerockten Arbeitergegend Londons. In Sheerness stirbt er mit 49 Jahren – an Alkohol, Weltschmerz und gebrochenem Herzen. Seine Leiche fand man erst 19 Tage nach seinem Tod.

 

 

Johnson: „Ich bin sicher, es gibt Geschichten, die man so einfach erzählen kann, wie sie zu sein scheinen. Ich kenne keine.“ So klingt der Original-Johnson-Sound. Eine Kostprobe: „Lange Wellen treiben schräg gegen den Sand, wölben Buckel mit Muskelsträngen, heben zitternde Kämme, die im grünsten Stand kippen.“ Warum sollen wir uns heute mit Geschichte aus dem Kalten Krieg befassen, fragt Charly Hübner, der als Jugendlicher Johnson eher per Zufall entdeckte. Für ihn ist klar: Einzelgänger Johnson „erzählt nicht Vergangenes, sondern Brennendes“.

 

Das Uwe Johnson-Literaturhaus in Klütz an der Ostsee. Mehr als ein Geheimtipp.

 

Noch ein Ausflugstipp: Im mecklenburgischen Klütz gibt es in einem ehemaligen Getreidespeicher seit knapp einem Jahrzehnt ein lohnenswertes Literaturhaus für Uwe Johnson. Vermutlich war der gute Mann nie in Klütz. Aber der verschlossene wie geniale Chronist des geteilten Deutschland erfand in seinen „Jahrestagen“ einen fiktiven Ort mit dem Namen Jerichow. Dieses Jerichow „unweit der Lübecker Bucht“ passe auf Klütz wie der sprichwörtliche Deckel auf den Topf, betonen lächelnd die Initiatoren. Darum genau hier das Johnson-Haus. Wo sonst?

Charly Hübner. „Wenn du wüsstest, was ich weiß.“ Suhrkamp, 2024.

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„Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“

Mai 1945. Der Krieg ist vorbei. Das Land zerstört. Die Nazis verschwunden. Die Reichshauptstadt ein Trümmerhaufen. Jedes dritte Gebäude zerstört oder schwer beschädigt. Alles ist knapp: Wasser, Strom, Lebensmittel und Hoffnung auf einen Neuanfang. „In diesem Sommer 45 ist nichts mehr, wie es war“, schreibt Bestsellerautor Oliver Hilmes. Mit der sogenannten Stunde Null entwickelt sich eine Zeit der Extreme. Zwischen Glück und Hoffnung der Befreiten, zwischen Elend und Enttäuschung der Besiegten. Hilmes erzählt in seinem neuen Buch „Ein Ende und ein Anfang“ Anekdoten und Geschichten aus den ersten Nachkriegsmonaten von Mai bis September 1945. Gab es den berühmten Zauber des Anfangs?

 

Sommer 1945. Gemüsebeet am Brandenburger Tor.

 

Sommer 45: Für die allermeisten heißt es: Schlangestehen. Kartoffeln auf dem Feld „organisieren“. Beim Fleischer viermal abgewiesen werden. Schwarzmärkte schießen aus dem Boden. Die Stunde der Schieber. Die wichtigste Währung: eine Schachtel Chesterfield. In Ostpreußen wird gehungert, Folge der Politik der verbrannten Erde. Und: Befreit werden kann nur, wer sich unfrei fühlt. Eine Mehrheit der Deutschen waren Nazis, stellen die Alliierten fest. Nach der Niederlage meinen sie, belogen und betrogen worden zu sein. Keine Nazis, nirgendwo. Sie lösen sich in Nichts auf. Hitler ist es gewesen, dieser Schuft. Er hat uns verführt.

 

Sommer 45 am Spittelmarkt, Ecke Wallstraße in Berlin. Foto: Waleri Faminski

 

Regisseur Billy Wilder soll als US-Offizier der „Information Control Division“ im Mai 45 das geistige Leben im zerstörten Dritten Reich kontrollieren und die Deutschen vom Nationalsozialismus befreien. Der deutsch-jüdische Erfolgsregisseur musste 1934 in die USA emigrieren. Nun will er zu einem demokratischen Neuanfang beitragen: Soll ein ehemaliger SS-Mann in Oberammergau Jesus spielen? Billy Wilder: „Sie dürfen spielen, aber nur unter einer Bedingung: dass Sie die richtigen Nägel nehmen.“

 

Sommer 45. Café am Kurfürstendamm. Quelle: DHM

 

Wilders heikelste Aufgabe: Er soll Die Todesmühlen“-Rohfassung von Hanus Burger überarbeiten. Das 86-minütige Material zeigt schonungslos KZ-Verbrechen. Billy: „Es gab beispielsweise eine Szene von der Befreiung von Bergen-Belsen, die ich nie vergessen werde. Da war ein ganzes Feld, eine ganze Landschaft von Leichen. Und auf einer der Leichen sitzt ein sterbender Mann. Er ist der Einzige, der sich in diesem Totental noch bewegt, und er blickt apathisch in die Kamera. Dann wendet er sich ab, versucht aufzustehen, erhebt sich mühsam, stolpert über eine Leiche, fällt um und bleibt tot liegen. Ich habe noch heute den letzten Blick des Mannes vor Augen, den erschütterndsten Blick, den ich je gesehen habe.“

Billy Wilder kürzt den Film, Hanus Berger ist entsetzt. Wilders Begründung: „Ein Film muss unterhalten.“ Billy Wilders Version dauert 22 Minuten.

 

 

Der 38-jährige Klaus Mann ist als Sonderberichterstatter für Stars and Stripes in Bayern unterwegs. 1933 emigriert, kehrt der Sohn des Literaturnobelpreisträgers Thomas Mann als US-Bürger in seine Heimat zurück. In München muss er feststellen, dass sein Elternhaus in der Poschingerstraße schwer beschädigt ist. Er trifft eine misstrauische Ausgebombte, die sich im zweiten Stock notdürftig eingerichtet. Die junge Frau berichtet, das Mann-Anwesen sei von der NS-Organisation „Lebensborn“ genutzt worden. „Stramme Burschen von der SS waren hier einquartiert, sehr feine Leute wirklich: die reinsten Bullen.“

Mitte Mai 45 besucht Klaus Mann inkognito den Komponisten Richard Strauss in seiner Villa in der Nähe von Garmisch-Patenkirchen. Der achtzigjährige Strauss plaudert, das Dritte Reich sei „in mancher Beziehung lästig“ gewesen. Er empört sich, dass kurz vor Kriegsende noch Ausgebombte einquartiert werden sollten. „Fremde – hier, in meinem Heim!“ Dazu kommt es nicht mehr. Der weltberühmte Komponist lobt NS-Politiker Hans Frank, „den Schlächter von Polen“. Strauss: „Sehr fein! Sehr kultiviert! Er schätzt meine Opern!“ Seine Schwiegertochter Alice habe er gerettet, sie sei „die einzige freie Jüdin in Großdeutschland“ gewesen. Zum Abschied bietet Strauss ein signiertes Foto an. Mann lehnt dankend ab.

Was der Dichtersohn nicht wissen kann: Einen Monat zuvor hatte Strauss im April 45 sein neues Werk beendet: Metamorphosen für 23 Solostreicher. Die Komposition kündet von von einer Welt, die in Trümmern liegt. Strauss notiert dazu: „Der Nationalsozialismus ist die schrecklichste Periode der Menschheit. 12jährige Herrschaft der Bestialität, Ignoranz u. Unbildung unter den größten Verbrechern.“

 

 

Wie das Leben nach dem 8. Mai 1945 weitergeht, erzählt das neue Hilmes-Buch. Empfehlenswert: Oliver Hilmes. Ein Ende und ein Anfang. Wie der Sommer 45 die Welt veränderte.

 

Berlin-Wilmersdorf. Pfalzburgerstraße. Bei mir um die Ecke. Zwei Straßen von meinem Wohnort entfernt.

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Des Meisters Vorbild

Er ist 24 Jahre alt. Komplett unbekannt. Ein Provinzjunge aus Minnesota. Lockenkopf, Klampfe, Mundharmonika, eigene Texte. Sein Wunsch: die Welt mit seinen Songs zu beeindrucken. Bob Dylan als Rolling Stone in New York. Das ist die Geschichte der neuen Kino-Biografie „A complete Unknown“ mit Tinotheé Chalamet in der Hauptrolle als junger Folk-Musiker. Es geht um Dylans erste Jahre in New York bis zum großen Auftritt beim legendären Newport-Festival 1965. Gegen den Rat der Altvorderen wie Pete Seeger trat der Newcomer mit elektrischer Gitarre auf. So performte der junge Dylan elektrisch verstärkt seine Folk-Songs – und wurde weltberühmt: „Like a Rolling Stone“. Es hagelte später Judas-Rufe. Bobs Antwort zur Band: „Play fucking loud“.

 

 

Dylan ist sich treu geblieben. Auch mit 83 Jahren ist und bleibt er der Lonesome Rider des Pop-Business. Verschlossen, abweisend, distanziert bis zur Karikatur. So pflegt er seinen eigenen Mythos vom poetischen Ausnahmekünstler. Typ: unnahbares Genie. Konsequent zieht er seine sperrigen Ego-Bühnenauftritte bis heute durch. Bloß kein Wort an das Publikum. Besser: Schlecht gelaunt gute Songs präsentieren. Handys im Publikum sind ihm ein Horror. Bei seinen großen Hits dreht er manchmal sogar den Fans den Rücken zu. Wie formulierte es seine damalige Weggefährtin Joan Baez in den Anfangsjahren: Bob, du bist ein hochtalentiertes Arschloch.

 

 

2016 erhielt die Folk-Legende als erster Musiker den Literaturnobelpreis «für seine poetischen Neuschöpfungen in der großen amerikanischen Songtradition». Zum Abholen der Auszeichnung schickte er Patti Smith nach Europa. Erst drei Monate später nahm der Einzelgänger seine Urkunde vor einem Konzert in Schweden persönlich entgegen. Ein Mann, der wenig redet. Der in seinen Songs alles sagt, was zu sagen ist. Und nun singt Opa Bob für die Enkel. Der Hollywood-Film A Complete unknown ist auch für die TikTok-Generation inszeniert.

Doch selbst Idole haben Vorbilder. Der junge Robert Zimmermann verehrte Dylan Thomas. Er benannte sich nach ihm. Aus Robert Zimmermann wurde Bob Dylan. Dylan Thomas – das Dichtergenie aus Wales. Penibel beim Dichten, schlampig im Alltag. Ein genialer Wortschöpfer und noch besserer Trinker. Mit 39 Jahren starb er in New York nach der erfolgreichen Premiere seines Meisterwerks „Unter dem Milchwald“. Drei durchzechte Nächte im „White Horse Tavern“ in Greenwich Village überlebte er nicht. Zwanzig Jahre hatte Dylan Thomas an jedem Wort seiner Kleinstadtgeschichte gefeilt – über einfache Leute mit ihren kleinen und großen Hoffnungen.

 

Auf den Spuren von Dylan Thomas. (1914-1953) Im legendären New Yorker Pub „White Horse Tavern“ hängt der große Dichter heute noch neben den Tresen an der Wand.

 

Eine Kostprobe aus dem Milchwald. Dylan Thomas: „Nur du kannst die Häuser schlafen hören, in den Straßen, in der langsamen, tiefen, salzigen, schweigenden, schwarzen bindenumhüllten Nacht. Nur du kannst in den vorhangblinden Schlafzimmern die Kämme sehen, die Unterröcke über den Stuhllehnen, die Krüge und Becken, die Gläser mit falschen Gebissen, an der Wand das „Du sollst nicht“ und die vergilbenden Bitte-recht-freundlich-Bilder der Toten.“

Der junge Robert Zimmermann aus Minnesota möchte so sein wie sein Leitstern Dylan. Allein zieht er los in die Welt – nach New York. Wie sein Namenspatron Dylan Thomas setzt Bob Dylan in seinen Texten konsequent auf Verfremdung und Verschlüsselung. Es ist oft genug geschrieben worden, dass sein Gesangstalent mit seinen Texten nicht Schritt halten kann. Dass viele Cover-Versionen viel besser sind als das Original (All along the watchtower u.v.a.). Dass Dylan sich hemmungslos aus der Literaturgeschichte von Shakespeare bis Dylan Thomas bedient hat. Aber der Künstler hat diesen unverwechselbaren Dylan-Sound kreiert. Ein Beispiel: Sein längster Song aus dem Jahre 1965 heißt Desolution Row. Das kann mit Elendsquartier übersetzt werden.

 

Bob Dylan: „Und sie bringen sie alle zu der Fabrik,
wo ihre Herzanfall-Maschin´
wird geschnallt um ihre Schultern
und dann wird das Kerosin

Heruntergebracht von den Burgen
von Versicherungsvertretern, die sorgen dafür,
dass nur niemand kann entkommen
in das Elendsquartier.“

 

Zu empfehlen ist für alle Dylan-Maniacs selbstverständlich der englische Originaltext von Desolution Row. Und der neue Kinofilm: A Complete Unknown. Alles andere ist … Blowing in the Wind.