Michael Wollny

Die Geister, die er rief…

Als ein guter Freund sechzig wurde, tauchte ein Überraschungsgast als Geburtstagsgeschenk auf. Ganz in Schwarz gekleidet setzte sich ein junger Mann mit strubbeligen Haaren an den Flügel und legte los. Wow! Es war ein Hammer. Mehr noch: Der Höhepunkt des Abends. Von zarten, verspielten Tönen bis zu kräftigen Klangfolgen wie ein Sommergewitter. Der Name des Mannes an den Tasten: Michael Wollny.

Mittlerweile ist mein Freund fast siebzig und Michael Wollny längst ein Star. Er gilt als einer der wichtigsten europäischen Jazzmusiker seiner Generation. Die Süddeutsche Zeitung nennt ihn einen Musiker, der „aus jeder nur erdenklichen Musik ein Erlebnis machen kann, das einem den Atem nimmt“. Für die FAZ ist er der „vollkommene Klaviermeister“.  Jazz-Puristen und Nörgler nennen seinen Sound naserümpfend Himbeerjazz, zu nah am Kitsch.

 

 

Wollnys neues Album heißt Living Ghosts. Vier lange Stücke, live eingespielt mit Bassist Tim Lefebvre und Schlagzeuger Eric Schaefer. Das ist seit Jahren das Michael Wollny-Trio. Warum live? Der 46-Jährige in der ZEIT: „Es ist keine Studioaufnahme, sondern eine reine Live-Improvisation, es zeigt also genau, was wir gerade fühlen und wahrnehmen. Wir lassen Geister, Themen, Erinnerungen auf die Bühne, teilweise ekstatisch, mitunter besessen. Es ist vielleicht eine Heimsuchung, aber eine positive.“

 

Michael Wollny-Trio. Living Ghosts. 2025

 

Wollny lässt die Geister tanzen. Er zaubert sie auf seinen 88 Tasten aus der Flasche. Die Geister, die er rief, wird er nicht mehr los. Das ist gut so. Denn sein Jazz ist eine Entdeckungsreise. Ein sehr spezieller Sound zum Aufputschen, dann plötzlich wieder leise, sensibel, zum Wegträumen.

 

 

Musik muss überraschen. Das ist der wesentliche Unterschied zu KI-getriebenen Fertigprodukten. Wollny: „Zu Beginn eines Konzerts wissen wir nie, welche Fragmente von welchen Stücken auftauchen werden oder in welcher Reihenfolge sie sich entfalten werden.“ Dabei experimentiert das 1978 geborene Ausnahmetalent Wollny von Kindesbeinen an. Von Jugend musiziert zum Bundesjazzorchester. Von der Musikhochschule Würzburg bis in die Popcharts. Wollny lebt heute in Leipzig und lehrt als Professor an der Hochschule für Musik und Theater.

Sein KI-betriebener Konzertflügel in Lausanne heißt Lars: Lars für „Listen, Action, Reaction, Silence“. Das digitale Klavier ist für Wollny eine Herausforderung, so eine Art „musikalischer Gymnastikraum“. Michaels Maxime: „Man braucht einen Kompass, muss wissen, wo man hinwill, während man gleichzeitig offen sein muss, Neues über den eigenen Kompass herausfinden.“

 

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