Archive for : Juli, 2025

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Raus aus der Blase

„Sind Sie Millionär? Was verdient man als Journalist? Wie sind Sie zum ZDF gekommen? Welche Stars waren zickig? Haben Sie Alice Weidel interviewt?“. Fragen von 15- bis 18-Jährigen an mich. Seit einigen Jahren bin ich als eine Art Handlungsreisender in Sachen Medien und Journalismus unterwegs. Ohne Köfferchen, ohne kostenlose Probepäckchen, nur mit einem USB-Stick und der Freude vor Ort, meine Berufserfahrungen zu teilen. Oder auszutauschen. Journalismus macht Schule, so heißt das Projekt seit 2019. Eine Erfolgsgeschichte.

Seit meinem Ruhestand vor genau einem Jahr ist mein Radius deutlich kleiner geworden. Kein TV-Millionenpublikum mehr. Keine Promis. Keine großen Reisen. Statt New York, Prag oder Paris, nun also Finsterwalde, Groß-Köris, Hoyerswerda. Laubusch. Wandlitz. Weißwasser oder Wittichenau. Allerdings sind meine Erfahrungen und Eindrücke keineswegs geschrumpft. Im Gegenteil. Ich erlebe (m)ein Land im Umbruch. Aus erster Hand. Ich besuche mit meinem angehäuften Wissens-Krempel Unis, sächsische Kleinstädte und berlin-brandenburgische Schulen. Jedes Mal ein Abenteuer.

 

Woran erkenne ich Fake News? Bei „Papst Donald“ ist es leicht. Eine echte Fälschung, aus dem Weißen Haus.

„Berichten Medien objektiv? Kann man Nachrichten vertrauen? Was läuft gut, was schief?“ Aus den Schulen kommen die Hilferufe um Unterstützung. Aus allen Himmelsrichtungen, Schulformen und Klassenstufen. Häufig sind es Lehrerinnen, die besonders ihre jung-männlichen Testosteron-Schützlinge kaum bändigen können. Die Pädagoginnen schildern mir bevorzugt in gendergerechter Sprache die Probleme „mit ihren Schüler*innen“. Es geht um Vorurteile, Klischees und rechte Vorkommnisse. Meistens sind die Lehrerinnen ratlos. Da werden Hakenkreuze in Schulbänke geritzt oder rechte Bands im Sportunterricht gehört. Als eine Lehrerin die Mutter eines beteiligten Schülers zum klärenden Gespräch bittet, antwortet diese patzig: „Es geht Sie überhaupt nichts an, was bei uns zu Hause gehört wird.“

Ein fünfzehnjähriges Mädchen aus einer Kleinstadt-Oberschule sucht nach den üblichen neunzig Minuten „Medienkunde“ das persönliche Gespräch. Nennen wir sie Nelly. Ein kluges, aufgewecktes Mädchen mit Brille und Nasenpiercing. Voll krass, erzählt sie. Wie ihr und ihren Freundinnen „abends gegen 20 Uhr“ Männer hinterherlaufen und sie „anbaggern“. „Nur weil wir Mädchen sind“, empört sich Nelly. Es seien vor allem Jungs aus dem Flüchtlingsheim, sagt sie noch. Nelly: „Ich fürchte mich vor Männern“. Schlimm sei das, „ich fühle mich nicht mehr sicher“. Die 15-Jährige bemerkt meinen Schnupfen. „Hab ich schon länger“, sage ich. „Bekomme ich einfach nicht los“. Nelly antwortet, lang anhaltende, hartnäckige Erkältungen kommen vom Impfen gegen Corona. Das sei doch bekannt. Sie lächelt mich wissend an und verschwindet auf den Schulhof. Die Jungs aus der letzten Reihe markieren den starken Mann und verlassen johlend das Klassenzimmer.

 

Wer ist echt, wer ist KI-generiert? Lösung: Mathilda Gvarliani, links im Bild. Aushängeschild einer H&M-Kampagne.

 

Die Lehrerinnen sind in der Regel junge Frauen. Sie berichten, dass sich ihre Klassen nicht für Politik interessieren. Sie seien in der Regel apathisch, halten sich raus. Der Trend weise eindeutig nach rechts. An den meisten Schulen werde die AfD bei Probeabstimmungen zur Bundestagswahl stärkste Partei, erfahre ich. Manchmal kommen Sprüche wie: „Die Tagesschau lügt!“ Oder: „Der ist mega schwul!“ Die Kids tummeln sie sich nach der Schule am liebsten auf YouTube, TikTok, WhatsApp oder Netflix. In den Schulen, in denen ich war, gilt im Unterricht Handyverbot. Die geliebten Smartphones müssen in einem Fach mit Nummern deponiert werden. Folglich kann eine Schulstunde verdammt lang werden. Konzentration ist für viele ein Fremdwort. Mein Respekt für die Lehrkräfte wächst mit jedem Besuch.

Die Welt in Finsterwalde oder Weißwasser ist anders. Es ist wichtig, die Berliner Blase zu verlassen. Jedes Mal komme ich ein kleines Stück klüger zurück. Und nicht selten kommt es mir wie eine Weltreise vor.

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„Die Wahrheit wird Euch freimachen“

Mein Herz klopft doppelt so schnell. Wir verlassen den George Washington Parkway an der Abfahrt Langley. Die Straße mündet plötzlich in einem gigantischen Checkpoint mit zahllosen Fahrspuren und Kontrollhäuschen. Es ist im Herbst 1998. Wir sind am Hauptquartier der CIA angekommen. Hier residiert der mächtigste Geheimdienst der Welt. Unser Mietwagen wird von einem Wachposten sofort zur Seite gewunken. In herrischem Ton fragt er: Wer sind Sie? Was wollen Sie hier? Haben Sie eine Erlaubnis?

Ende einer Dienstfahrt. Schlusspunkt eines Versuchs mit der CIA, direkten Kontakt aufzunehmen. Zugegeben: es war natürlich naiv. Aber ich wollte für eine ZDF-Reportage herausfinden, ob wir die Rosenholz-Akten einsehen können. Oder wenigstens mit jemandem darüber reden. Die Rosenholz-Aktion war ein typischer CIA-Coup am Ende des Kalten Krieges. Die US-Geheimdienstler hatten sich mithilfe eines Moskauer Überläufers gegen Dollars die Daten von über 1.500 aktiven Westagenten der Stasi besorgt. Eine Auskunft bekamen wir nicht. Dafür mit hoher Sicherheit eine eigene Akte in ihrer CIA-Datenbank.

 

 

Womit wir damals kläglich gescheitert sind, ist dem zweifachen US-Pulitzerpreisträger Tim Weiner eindrucksvoll gelungen – hinter die Kulissen des omnipräsenten Geheimclubs zu schauen. Auf über 550 Seiten berichtet der frühere Korrespondent der New York Times in seinem neuen Buch über: Die Mission. Die CIA im 21. Jahrhundert. Der CIA-Mythos. Das Auge, Ohr und scharfe Schwert der Vereinigten Staaten seit 1947. Weltweit. 24/7. Was ist typisch für die Männer und Frauen von Langley? „Spionage, Infiltration, Rekrutierung, Desinformation, Sabotage und direkte Aktion – ‚also Tötung von Menschen‘, schreibt Tim Weiner. Das volle Programm: Regimewechsel, geheime Gefängnissysteme, Undercover- und Zersetzungsmaßnahmen. „Geld ist die effektivste Waffe der CIA“. Leugnen und Täuschen das tägliche Geschäft. „Spionage ist überall illegal. Täuschung ist ihr Wesen, und Lügen sind ihr Schutzschild.“

Das 21. Jahrhundert beginnt in der US-Logik mit dem Anschlag vom 11. September 2001. Der Ground Zero, das totale Versagen der amerikanischen Geheimdienste. Was folgt, war der Auftakt zum Krieg gegen den Terror, der bis heute anhält. Die Spionagetruppe CIA führte seitdem, laut Weiner, Aktionen in 92 Nationen durch. Das Budget wurde auf drei Milliarden Dollar verdoppelt. Entscheidender noch: Es gibt die Lizenz zu töten. Die CIA wird im Ausland zu einer paramilitärischen Truppe im Kampfeinsatz umgebaut. Teams von Auftragsmördern sind unterwegs. Der Geheimdienst leistet sich „Killertrupps“. Diese liquidieren tatsächliche und vermeintliche Terroristen. Da kann eine Hellfire-Rakete, gesteuert in Katar, abgefeuert von einer Kampfdrohne mal in Kabul eine neunköpfige Großfamilie, darunter sieben Kinder auslöschen. „Kollateralschaden“. Opfer einer Verwechslung.

 

CIA-Hauptquartier in Langley, Virginia, USA. 2014. Übrigens: Der neue BND-Bau in Berlin-Mitte ist größer.

 

Minutiös zeichnet Weiners Insider-Buch den zwanzigjährigen Afghanistan-Einsatz nach. Der installierte afghanische Präsident Karzai sei stets eine Marionette der CIA geblieben.  Ein Mann ohne Macht und Autorität. Und: „Ein Musterbeispiel für die Behauptung, dass Macht korrumpiert“. Die Operation Enduring Freedom – laut George W. Bush „ein guter, ein gerechter Krieg“ – endet im August 2021 im totalen Desaster. Afghanistan wird zum zweiten Vietnam der Vereinigten Staaten. Die bittere Pointe: Abzug und Evakuierung der USA aus Afghanistan gerät zur politischen Katastrophe für Präsident Biden. Nach Weiner der „Giftbecher“ den Donald J. Trump seinem Nachfolger Biden als Abschiedsgeschenk überreicht hat – „das mit den Taliban geschlossene Doha-Abkommen“.

Der Afghanistan-Komplex zeigt All- und Ohnmacht einer Weltmacht. Washington verfügt mit der CIA über einen der effektivsten Geheimdienste der Welt, aber auch diesem sind Grenzen gesetzt. Doch jetzt seien nicht Russland, Iran, Taliban, Hamas oder China die größte Bedrohung. Vielmehr drohe Friendly Fire direkt aus dem Weißen Haus. Weiner notiert: „Dieses Buch erscheint in einer Zeit großer Gefahr. Zu den größten Herausforderungen für die CIA in der nächsten Zeit wird der Mann im Weißen Haus gehören. Ein autoritärer Führer, der die augenfälligste Gefahr für die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten seit dem Beginn dieses Jahrhunderts darstellt.“

 

Tim Weiner. Im Anhang schreibt er: „Gut möglich, dass es (sein Buch über die CIA) für einige Zeit das Letzte seiner Art sein wird.“

 

 

In der Eingangshalle von Langley, in die ich nie gelangt bin, steht das Motto des legendären US-Geheimdienstes: „Und ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.“ Das Bibelzitat aus dem Johannes-Evangelium 8,32 erzählt die Geschichte von Jesus, der seinen Jüngern in großer Gefahr zuruft: „Nur die Wahrheit führt zur Freiheit.“

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Navel erzählt gerne Witze

Der kleine Freund hat zwei große Knopfaugen wie Charlie Brown. Er ist genau 72 cm groß, hat zwei Arme, steht auf Rollen und trägt eine lustige, blaue Zipfelmütze. Sein Name ist Navel, auf Deutsch: Nabel. Navel kann eine Menge: Blickkontakt aufnehmen, mit kindlicher Stimme Witze erzählen. Beispiel: „Treffen sich zwei Roboter. Fragt der eine: Ist bei Dir ne Schraube locker?“ Navel hat Ausdauer, solange der Akku hält: maximal sechs Stunden. Das Beste: Navel ist geduldiger als jede menschliche Pflegekraft. Die sind sowieso Mangelware. Der kleine Kamerad kostet 28.000 Euro. Die Leasinggebühr beträgt derzeit 970,- Euro/Monat. Navel ist ein Sozialer Roboter.

Das Gerät wurde vom Münchner Start-up Navel Robotic entwickelt. Der Roboter läuft auf GPT-40 mini-Basis: ein KI-Modell des US-Konzerns OpenAI über die Cloud von Microsoft. GPT-Text wird in Sprache umgewandelt. Chefentwickler Claude Toussaint: „Jetzt sollen die Maschinen von Menschen lernen“. Nicht wie bisher umgekehrt. Navels Aufgabe: Mit Menschen reden und zuhören, Witze erzählen oder Quizfragen stellen. Für jeden Gesprächspartner legt Navel eine Datei an: Hobbys, Wünsche, Sorgen. Im Prinzip agieren KE-Roboter (= Künstliche Empathie-Roboter) wie Schauspieler. Sie speichern Texte ab, sprechen Dialoge und spielen Gefühle vor. Auf Wunsch, gegen Bezahlung. Upgrade inklusive.

 

 

Der Pflegeroboter aus dem 3-D-Drucker ist derzeit in verschiedenen Pflege- und Seniorenheimen im Testlauf. Eine Art Alexa für ältere Semester, ein Babysitter für Babyboomer. Gesellschaft leisten, plaudern, für gute Stimmung sorgen. Der Kommunikationsroboter als ideale Antwort auf den Pflegenotstand. Navel kann auch ein Heilmittel gegen Einsamkeit werden. Updates auf andere Personengruppen sind jederzeit möglich. Was Navel (noch) nicht kann: Er geht nicht eigenständig auf Patienten zu. Der Roboter hat mitunter Probleme mit der Gesichtserkennung oder fängt zu fantasieren an. Fehlt es etwa doch an sozialer Intelligenz? Das heißt die Fähigkeit, aufmerksam wahrzunehmen und in „Beziehungen klug und einfühlsam zu handeln“.

Wir alle wissen: Soziale Pflegearbeit ist Schwerstarbeit. Häufig 24 Stunden am Tag. Derzeit gibt es 5.6 Millionen Pflegebedürftige in Deutschland. Täglich werden es mehr. In wenigen Jahren sollen es über zehn Millionen sein. Laut Pflegerat werden 2034 eine halbe Million Fachkräfte fehlen. Derzeit sind 115.000 Stellen unbesetzt. Das Problem liegt auf der Hand. Wenn ein Super-Gau in Pflege- und Seniorenheimen ausbleiben soll, müssen Navels bald zum Einsatz kommen. Wenn Menschen einsam sind. Oder wenn sie nicht miteinander klarkommen. Oder einfach niemand Zeit hat.

 

 

Das Geschäftsmodell der Zukunft:  der Empathie-Roboter mit Ersatzakku und Upgrade. Um zu verhindern, dass die kleinen künstlichen Navels Unsinn anrichten, bedarf es eines Mindestmaßes an ethischen Standards. Verantwortungsvolles Programmieren wird zur Gretchenfrage. Sonst kann aus dem kleinen Freund und Helfer Navel ein großer Tyrann im Pflegestationen werden, der mehr als schlechte Witze erzählt.

 

Empathische Roboter auf der großen Leinwand. „Ich bin Dein Mensch“

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Caligula und sein Pferd

Wahnsinn! Ein Tyrann und Narzisst! Wer Caligula googelt, stößt auf einen arroganten und exzentrischen Herrscher der Extraklasse. Sein richtiger Name: Gaius Iulius Caesar Germanicus. Der dritte römische Kaiser von 37 bis 41 nach Christus. Als Kind erhielt der kleine Gaius den Spitznamen „Caligula“. Das bedeutet „kleine Soldatenstiefel“ – eine Anspielung auf die Miniaturschuhe, die er während der Feldzüge seines Vaters Germanicus trug. War der Römer wirklich ein Monster? Ein Despot, der sein Pferd zum Konsul befördert? Ein Alleinherrscher, der die Rolle des Tyrannen neu definiert? Dessen Leitsatz lautet: „Sollen sie mich doch hassen, solange sie mich fürchten.“

Das „Soldatenstiefelchen“ wächst auf der Insel Capri auf. Dort verbringt Caligula (*31. August 12) sechs Jahre, bevor er nach Rom geht und bald zum Quästor ernannt wird. Mit 24 Jahren wird er zum Imperator, zum Kaiser von Rom, bestimmt. Anfangs ist er beim Volk äußert beliebt. Er senkt Steuern, veranstaltet Wagenrennen und Gladiatorenkämpfe. Dieser Brot und Spiele-Mix kommt bestens an. Eine längere Krankheit wirft ihn im Alter von 25 zurück. Hinter seinem Rücken liefern sich im Hofstaat Senatoren Machtkämpfe um eine mögliche Nachfolge. In einer überlieferten Rede im Jahr 39 wirft Caligula Senatoren vor, ihn töten zu wollen. Caligula nimmt Rache. Er schaltet potenzielle Konkurrenten aus, darunter 36 Senatoren, seinen Stiefvater und den Chef der Prätorianer.

 

 

Caligula entwickelt sich zu einem der schlimmsten Kaiser Roms. Während seiner kurzen, knapp vierjährigen Herrschaft verlangt er, ihn als Gott zu verehren. Er soll mit seinen drei Schwestern Inzest begangen, sie verbannt und getötet haben. Dafür gibt es keinerlei Belege, nur Gerüchte. Aber diese halten sich zuverlässig bis heute. Sicher ist: Caligula macht sich immer mehr Feinde. Ab Frühjahr 40 wird seine Herrschaft im Römischen Reich lebensgefährlich. Gegner werden öffentlich ausgepeitscht. Köpfe rollen. Der starke Mann in Rom erzeugt kollektive Angst.

Eine der berühmtesten Geschichten sagt, Caligula habe geplant, sein Lieblingspferd Incitatus zum Konsul zu ernennen. Tatsächlich sollte sein Pferd einen eigenen Palast bekommen. Der Rest ist Legende. Wie auch immer: Caligula verspottet und verachtet den Adel, das damalige Establishment der Hauptstadt Rom. Er demütigt seine Gegner aufs Äußerste.

 

 

Caligulas Ende ist blutig. Am 24. Januar 41 verlässt der Herrscher das Theater in einem unterirdischen Tunnel. Dort wird er vom Offizier Cassius Chaerea, dem Chef seiner Leibgarde, erstochen. Die Herrschaft geht gewaltsam zu Ende.  Entscheidend ist seine Leibgarde: die Prätorianer. Sie stehen für seinen Aufstieg und sein frühes Ende mit 28 Jahren.

Nun bleibt nur noch eine Frage: Ist die Geschichte vom selbstverliebten tyrannischen Herrscher ein Einzelfall und zweitausend Jahre alt, also verdammt lange her? Oder ist der Fall Caligula bis heute aktuell? Nicht nur in unzähligen Filmen und Romanen.