An der Nordseeküste....

Fährmann, hol über!

Wer in Ostfriesland bis ans Ende fährt, landet über kurz oder kurz lang auf einer schnurgeraden Schnellstraße Richtung Norddeich. Links und rechts der breiten Straße sieht es aus wie auf einer US-Interstate in Florida. Supermärkte, Baumärkte und Einkaufszentren mit riesigen Parkplätzen, MacDonalds und Tankstellen. Am Ende kurz vor dem Deich wird es endlich gemütlicher. Fischrestaurants, Cafés und Hotel geben sich die Hand. Es wird touristisch. Wer nun auf eine der beiden ostfriesischen Inseln Norderney oder Juist übersetzen will, für den wird es spannend. Die meisten Wegweiser führen auf direktem Weg zum Anleger der Frisia-Fährgesellschaft. Wer sich für den Newcomer „Meine Fähre“ entscheidet, muss einen langen Umweg quer durch die Hafenanlagen nehmen. Der Lohn: Eine Abenteuerreise in das „Deutschland des Jahres 2025“.

Am Anleger wollen wir mit unseren Rädern auf der funkelnagelneuen „Meine Fähre“ einchecken. Doch Obacht! So einfach geht das nicht. Ein kräftiger Matrose verhindert jede Annäherung. Unmissverständlich macht er klar, wer Chef ist, auch wenn er kein Wort Deutsch spricht, außer: „Nein!“ Der Mitarbeiter nimmt uns die Räder ab und schiebt sie vorsichtig auf die Fähre. Wir, insgesamt fünf Radtouristen mit Ziel Norderney, müssen am Kai warten. Schließlich fährt nach einigen Minuten ein VW-Shuttle-Bus vor. Wir müssen einsteigen, genau wie alle Fußgänger. So überwinden wir etwa zwanzig Meter Luftlinie von der Anlegerkante bis auf das Schiff. Erst dann dürfen wir aussteigen und uns einen Platz suchen.

 

Norderney. Wer hier zu Fuß weitergeht, verstößt gegen Behörden-Auflagen. Betreten nur mit einem Shuttle-Bus erlaubt. Vorschrift ist Vorschrift!

 

Das gesamte Beladungsmanöver dauert dadurch länger, vielleicht zwanzig Minuten. Der Shuttle-Bus muss noch weitere Fahrgäste die wenigen Meter an Bord lotsen. Warum in aller Welt? Warum nicht zu Fuß gehen? Der Fahrer zuckt genervt mit den Schultern. „Vorschriften! Sicherheit!“ Der Mann mag nicht weiter reden. Der Kapitän sagt nur: „Das ist Deutschland!“ Als ein freundlicher Mitarbeiter zum Abkassieren kommt, werden wir klüger: „Das sind Vorschriften des Hafenamtes!“ Die Gesellschaft „Meine Fähre“ sei eine reine Autofähre, daher müssten Rad- und Fußtouristen aus Sicherheitsgründen mit einem Shuttle an Bord chauffiert werden. Und wenn es nur ein paar Meter sind. Man wolle nicht die neue Lizenz verlieren.

Wir sind reif für die Insel. Die Überfahrt ist entspannt und großartig. Die schmucke neue Fähre dagegen ziemlich leer. Nur eine Handvoll Pkw, auch die Zahl der Passagiere ist überschaubar. Ob sich das rentiert? Als wir in Norderney anlegen, die gleiche Prozedur. Natürlich auch abends bei der Retourfahrt. Auf keinen Fall darf jemand einfach zu Fuß die Fähre betreten. Die paar Meter bis zur Fähre dürfen nur mit dem Shuttle-Bus bewältigt werden. Das dauert. Logisch. Auch die Räder darf nur der breitbeinige Matrose am Ende wieder an Land bringen. Vorschrift ist Vorschrift!

 

David gegen Goliath. Die neue Fährgesellschaft „Meine Fähre“ verspricht günstigen und schnellen Transport auf die Insel Norderney. Doch das wirkliche Leben sieht ein paar Überraschungen vor. Motto: „Willkommen in Deutschland!“

 

Wer hat sich das ausgedacht? Ist das ein schlechter Aprilscherz? – Pustekuchen! Die deutsche Bürokratie zeigt am Hafen von Norddeich, wozu sie imstande ist. Deren Begründung: Sicherheit geht vor. Das ist eine Autofähre, Punkt. Zu Fuß geht nicht. Auch wenn es komplett absurd ist und Loriot seine Freude daran hätte.

Motto: Wir machen das Leben kompliziert. Vermutlich gibt es noch einen gewichtigen Grund: Der mächtige Platzhirsch in Ostfriesland, der Frisia-Konzern wacht argwöhnisch darüber, dass die umständliche Ladungsprozedur des neuen Konkurrenten peinlich genau eingehalten wird. Den lästigen Mitbewerber will man wieder loswerden.

 

Eine Seefahrt, die ist lustig.

 

Sehen wir uns in Norddeich, wenn es heißt: Fährmann, hol über!

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