Archive for : November, 2025

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Sein Kampf

Lachen ist schön. Andere zum Lachen bringen, noch schöner. Lachen als Beruf kann wunderbar sein. Aber Augen auf bei der Berufswahl! Eigentlich sind schlechte Zeiten beste Zeiten für Satiriker, Komiker, Kabarettisten, Zyniker und Comedians aller Art. Wenn es den Menschen mies geht, „mach Komödien“, meinte einst 1,2,3-Altmeister Billy Wilder. Serdar Somuncu ist so einer, der seit Jahrzehnten Menschen zum Lachen bringt, dass es einem im Halse stecken bleiben kann. In Istanbul geboren, in Nordrhein-Westfalen aufgewachsen, gibt er den furchtlosen, unbeugsamen „Quoten-Kanake“.

Wikipedia sortiert den Mann als Kabarettist, Autor und Regisseur ein. Studierter Schlagzeuger ist er auch. Die Bühne ist sein Leben, Provokation sein Geschäft. Motto: „Jede Minderheit hat ein Recht auf Diskriminierung.“ Als Macho-Türke mit großer Klappe legt er einen kometenhaften Aufstieg hin – dank Adolf Hitler. Jahrelang hat er „Mein Kampf“ unters Volk gebracht. Manchmal mit schusssicherer Weste und Polizeischutz, wenn er vor Neonazis den Führer durch den Kakao zog. Eines seiner Bücher heißt: „Der Adolf in mir!“ Somuncu 2020: „Mein Lebensthema ist die Auseinandersetzung mit Nationalsozialismus; mit Faschismus, mit Propaganda und der Durchsetzung von Denkstrukturen, die destruktiv sind.“

 

Serdar Somuncu in seiner Rolle als Hassprediger „Hassias“. Foto: Sebastian Igel

 

Serdar Somuncu hat über hundert Theaterstücke inszeniert, darunter Kafkas Bericht für eine Akademie. Unaufhaltsam macht er wortmächtig Karriere.  Von 2016 bis 2023 moderiert er „Die blaue Stunde“ auf radioeins. Er tritt bei der „heute-show“ auf und ist bei n-tv als „So! Muncu!“ präsent. Seine Leib- und Magen-Rolle: Der Hassprediger „Hassias“ – ein Serdar-Worteigengebräu aus Messias und „GröHaZ“ –dem größten Hassias aller Zeiten. Sein Erfolgsrezept: Regierungen kommen und gehen. Hass bleibt.

Somuncu tritt in die Fußstapfen von TV-Kultfigur „Ekel-Alfred“. In Corona-Zeiten attackiert er „Ungesundheitsminister“ Lauterbach und stellt sich immer unverblümter auf die Seite der Ungeimpften. Plötzlich erhält der bekennende Antifaschist Beifall von rechts und Konflikte mit den sogenannten Mainstreammedien. Im September 2023 verkündet er sein Karriereende; da ist er 55 Jahre alt. Viel zu jung, um in Rente zu gehen.

Es wird stiller, die Bühnen kleiner. Provokationskünstler Somuncu feiert folgerichtig im Netz sein Comeback. Auf Instagram und YouTube präsentiert er sich als Kulturkämpfer gegen Wokeness und produziert platte Beschimpfungsvideos, besonders im Visier Frauen: Dunja Hayali sei eine „systemtreue Handlangerin“, Heidi Reichinnek „eine linke Klimperkiste, die schneller als ein Maschinengewehr“ spreche und Annalena Baerbock etikettiert er als „Anal-Ena“. Willkommen im tiefsten Souterrain der Satire.

Satire darf alles. Natürlich. Jedenfalls in einem freien Land. Doch für schale Sprüche wie: man dürfe hier nichts mehr sagen, gibt es keine Erfolgsgarantie. Plötzlich fühlt sich Somuncu „sanktioniert“, weil er nicht mehr „genehm“ sei. Der Hassprediger macht weiter, was er kann: Er teilt aus: gegen Ukraine-Präsident Selenskyj als „räudigen, bettelnden Straßenköter“ und bezeichnet das TV-Geschäft als Scheinwelt. „Die Leute verstellen sich. Es ist asozial.“ Jeder Text werde minutiös geprüft. Das sei faschistoid. Er beklagt in einem neuen Podcast mangelnde Solidarität unter Comedians.

 

 

Was für ein Wandel. Der Mann, der punktgenau und schlagkräftig austeilt, inszeniert sich als Opfer, das beleidigt auf Kritik reagiert. Die lautet: Er mache mittlerweile alles für Applaus. Er liefere den Wütenden seine Wut, um Klicks zu generieren; seine Gags würden immer verbissener und ernster, er sei eine Art Mario Barth geworden. Humor unter Aldi-Niveau.

Menschen zum Lachen zu bringen, ist eine Kunst. Und Kunst ist eine ernste Sache, meinte einst der Urvater des subtilen und befreienden Humors, Karl Valentin. Sein Geheimnis? Ein Augenzwinkern. Was ist nur los mit Serdar Somuncu? Vom rotzfrechen Hitler-Imitator zum schwurbeligen AfD-Hofsänger? Als ich das letzte seiner vielen Wut-Videos gesehen habe, bescheren mir die YouTube-Algorithmen eine musikalische Überraschung. Weiter geht’s mit Tannhäuser von Richard Wagner. Danke KI, für diese herrliche Pointe zum Schluss.

 

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„Ich halte doch nicht die Luft an“

Anruf bei Cornelia Schleime. Wir kennen uns schone eine ganze Weile: „Wie geht’s Dir? Was läuft?“ – „Meinem Hund geht es schlecht. Susi ist 17, das wäre bei uns Menschen hundert. Ich kann nicht mehr verreisen. Geht nicht mit der alten Dame.“ – Und sonst? – „Ich mache einen Tango-Kurs.“ Wer Cornelia Schleime kennenlernt, wird sie nicht vergessen. Jetzt also Tango mit Wiegeschritt. So viel Energie, Tatendrang und noch mehr Lust auf Neues. Das Leben ist Tanz. Ihre künstlerischen Arbeiten sind derzeit auf gleich drei Ausstellungen in der Republik zu sehen: Augsburg, Stuttgart und Frankfurt/Oder.

Kaum zu glauben. Cornelia Schleime ist mittlerweile 72 Jahre. In Denken, Fühlen und Handeln zeigt sie sich geistig beweglicher als viele aus der Gen Z. Von Verzagtheit und Weltschmerz keine Spur. Die Vollblut-Malerin, Autorin, Filmerin und Performerin ist ein Gesamtkunstwerk. Sie ist wie ihre Vaterstadt Berlin: Crazy und krass, unangepasst und verwegen. Dabei lebt sie die meiste Zeit in der märkischen Streusandbüchse. Draußen auf dem Lande. Zwischen Blumenkohl, Fuchs, Hase und Windrädern.

 

Selbstporträt als Schaf. 2010 – alle Abbildungen mit freundlicher Genehmigung von Cornelia Schleime.

 

Farbe ist ihr Element. Ihr Fundament ein wilder Mix aus Romantizismus, Figürlichkeit und Vielschichtigkeit. Plus jede Menge Fantasie, Selbstironie und Witz. Malen ist für sie „ein Liebesakt“. Einer ihrer Vorbilder ist der Surrealist Louis Bunuel. Schleimes Bildkompositionen kombinieren häufig Frauen mit Tieren. Auf die Leinwand zaubert sie Fabelwesen, stark und selbstbewusst. Die Schleime-Menschen. Das Besondere: Die Blicke der Porträtierten ziehen die Betrachtenden magisch ins Bild hinein. Schau mir in die Augen!

Man nennt sie eine Rebellin. Das einstige Punk-Girl vom Prenzlauer Berg, als das Altbauviertel kaputt, aber kreativ war. Mit Ofenheizung, begehbaren Dächern und Klo auf halber Treppe. Kunst Made in GDR. Die Berliner Pflanze Conny kann sanft und poetisch sein, wenn sie will: „Eine Fabuliererin mit Lust am Absurden“, lobt eine Kunstkritikerin. Schleimes Motto: „Überleben durch Schönheit, um nicht an der hässlichen Wahrheit durchzudrehen.“

 

Bondage. Hüpstedt/DDR. 1982. Foto: Bernd Hiepe

 

„Sie hasst Langeweile und Glattheit. In der DDR wurden ihre Arbeiten verboten, heute hängen sie weltweit in Museen und Galerien“, vermerkt der Deutschlandfunk. Schleime hat jeden Schritt in ihrem Leben selbst erkämpft. Mal verträumt und mädchenhaft, mal durchgeladen wie eine Kalaschnikow. Die waschechte Berlinerin lernt Friseurin, jobbt als Pferdepflegerin auf der Rennbahn in Dresden. Dabei möchte sie mit siebzehn nur eines werden: Künstlerin. Doch die DDR, in der sie erwachsen wird, setzt enge Grenzen. Unbeeindruckt probiert sie sich aus: als Grenzgängerin. Sie wird Frontfrau der ersten DDR-Punkband „Zwitschermaschine“, Friedhofswächterin, Maskenbildnerin, Aktmodell und Fotografin.

Sie studiert Malerei in Dresden, lernt mit achtzehn den Lyriker Sascha Anderson kennen. Leitfigur der Untergrund-Szene vom Prenzlauer Berg und zeitgleich Haus- und Hoflieferant der Stasi. Er verrät viele in der Szene und seine Freundin Conny gleich mit. Schleime wird mit Ausstellungs- und Berufsverbot belegt. „Natürlich hat mich das persönlich hart getroffen. Er hat sich bei mir entschuldigt und diese Entschuldigung habe ich auch angenommen.“

 

Rotkäppchen. 2020

 

Sie ist Anfang dreißig, als sie die kleine DDR mit dem großen Sozialismus-Anspruch verlässt. Das war 1984. Sie reist „mit Sohn Moritz, einem Koffer und einem Federbett“ nach West-Berlin aus. Zurück blieben etwa hundert Ölbilder und tausend Zeichnungen. Beschlagnahmt oder vernichtet? Niemand weiß es. Ihre frühen Arbeiten sind bis auf Fotos und einige Super8mm-Filme bis heute nicht aufgetaucht.

Seit einem halben Jahrhundert malt, dichtet, singt, schreibt, filmt und inszeniert Schleime, was ihr auf der Seele brennt. Sie lacht gerne, redet viel und schnell, mag kein Kunstgelaber. Die Berlinerin ist bodenständig und künstlerisch enorm kreativ. Der lebende Gegenentwurf zu verkopften und dogmatischen Intellektuellen. Sie sagt: „Lachen befreit.“

 

Für den, der von mir will, was ihm nicht zusteht. 2022

 

In letzter Zeit wird sie mit Auszeichnungen und Preisen überschüttet, „obwohl Frauen in der Kunstbranche das Doppelte, bis Dreifache leisten müssen, bis sie anerkannt werden“, sagt ihr Galerist Judin. Heute gilt Cornelia Schleime als „Grand Dame“ und „eine der besten Malerinnen des Landes“, so die Kunstkritik.

Stellen Sie sich mal vor! Für diese Gesprächsreihe möchte ich sie gewinnen. Spontan sagt Conny zu. „Klar mache ich mit, wenn ich Zeit habe. Ich kann ja nicht weg, der alte Hund.“ Am 21. März 2026 kommt die freiheitsliebende Grand Dame des deutschen Kunstbetriebs in das kleine Theaterdorf Netzeband. „Für Euch mache ich das. Aber vorbereiten ist nicht. Kommt nicht in die Tüte.“ Klar: Conny braucht kein Drehbuch, sie atmet das Leben – in jeder Sekunde.

 

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F*ck mich Finch

Wer kennt Finch? Fast alle Arme schnellen nach oben. Die 13- bis 15-jährigen Kids vom Gymnasium Strausberg II mögen ihn. „Der ist von hier! – Ein cooler Ossi, der sich nicht unterbuttern lässt. – Ein Unioner. – Super Texte“, lauten die Antworten. Ein Schüler durfte mit den Eltern zum Konzert. Gemeinsam mit 15.000 Fans in der ausverkauften Berliner Arena in Friedrichshain. Um Finch geht es auch beim Projekttag an einem ostdeutschen Gymnasium. In drei Workshops sollen Fragen zur Rolle der Mediennutzung von Literatur bis TikTok angesprochen werden. YouTube nutzen alle. YouTube hat Finch zum Star gemacht. Jetzt füllt der Rapper mit dem Ossi-Bonus die größten Hallen von Hamburg bis München.

Im Osten geht die Sonne auf. Für Finch ist das Programm. Als Nils Wehowsky am 13. April 1990 in Frankfurt/Oder geboren, ist er ein waschechtes Wendekind. Gelandet in einer Welt im totalen Wandel zwischen Mauerfall und Einheit. Zwischen Aufbruch und Treuhand-Jahren. Über Kindheit und Jugend sagt er: „Wir hatten wenig, aber wir hatten uns.“ Er macht eine Mechatroniker-Lehre, nebenbei schreibt er auf, was er sieht. Die ersten Textversuche schickt er seinem Deutschlehrer. Vor gut zehn Jahren wird aus Nils Finch Asozial. Sein Debütalbum Dorfdisko schlägt 2019 voll ein. Es geht um harte Jungs, große Sprüche und scharfe Bräute; ferner um Disko, Trabis, Softeis. Pfeffi, Fliesentisch und Vokuliha.

 

 

Finch Asozial macht seinem Namen alle Ehre. Ein Ost-Proll der Extraklasse. Reden frei Schnauze. Chauvi-Sprüche am Fließband. Kostprobe: „Fick mich Finch … „Aua. Es tut so weh. Bitte schieb ihn nur zur Hälfte rein.“ Seine Texte sind alles, außer politisch korrekt. Seinen Sound beschreibt er selbst als „Klamauk-Ballermann-Rap“. Ein wilder Ritt, gewürzt mit Rap, Rave, Techno und Schlagermusik zum Mitsingen. Finch provoziert, Finch polarisiert. Ist er ein Rechts-Rapper, der AfD-Parolen zu Texten verhackstückt? Oder ein Rebell, der für eine neue Wende im Lande steht? Egal. Der Mann hat Erfolg. Und wie!

Finch erntet steile Shitstorms aus allen Empörungsgemeinden. Für die Linken ist er zu rechts, für die Rechten zu links. Die Frauenrechtsorganisation Terre de Femmes bezeichnet ihn als „frauenfeindlich und sexistisch“.  In der späten Corona-Zeit ändert Finch sein Image. Den Zusatznamen „Asozial“ streicht er. Nun mache er Texte ohne „Meldefinger“, betont er. Rassismus sei im Übrigen eine gesamtdeutsche Realität. Im Song Wenn du dumm bist, kritisiert Finch rechtes Gedankengut. Nach einer Parodie durch Künstler des rechten Labels NDS kündigte Finch an, seine GEMA-Einnahmen der linken Punkband Feine Sahne Fischfilet zu spenden.

 

 

Finch spricht offenbar vielen aus dem Herzen, die einfach so reden wollen, wie sie denken. Ohne Angst vor Tugendwächtern und Besserwisserei. Lieder wie „Liebe ist ein Wir-Gefühl“ oder „Ostdeutschland“ werden bei Live-Konzerten in Berlin oder Stuttgart tausendfach mitgegrölt. In Onkelz Poster heißt es: „Ich saufe mich ins Koma, an der Wand hängt mein Onkelz Poster. Anfang zwanzig, mit Leberzirrhose/Schuld sind die oben. Der Hass in euch/und ihr hasst uns … Ich wünsch’ mir meine DDR zurück.“

Nils alias Finch ist mittlerweile 35 Jahre, genauso alt wie die deutsche Einheit. Finch hat die DDR nie erlebt. Genau wie die Schüler in Strausberg und die große Mehrheit seiner Fans. Aber der Junge aus dem verschwundenen Drei-Buchstaben-Land hat ein gutes Gespür für Widerspruch und Zeitgeist. Seine Fans sind dankbar, übrigens in ganz Deutschland. Vielleicht auch deshalb, weil der Rapper für Eigensinn, Stolz und Selbstbehauptung steht – gegen „die da oben“.