„Ich halte doch nicht die Luft an“
Anruf bei Cornelia Schleime. Wir kennen uns schone eine ganze Weile: „Wie geht’s Dir? Was läuft?“ – „Meinem Hund geht es schlecht. Susi ist 17, das wäre bei uns Menschen hundert. Ich kann nicht mehr verreisen. Geht nicht mit der alten Dame.“ – Und sonst? – „Ich mache einen Tango-Kurs.“ Wer Cornelia Schleime kennenlernt, wird sie nicht vergessen. Jetzt also Tango mit Wiegeschritt. So viel Energie, Tatendrang und noch mehr Lust auf Neues. Das Leben ist Tanz. Ihre künstlerischen Arbeiten sind derzeit auf gleich drei Ausstellungen in der Republik zu sehen: Augsburg, Stuttgart und Frankfurt/Oder.
Kaum zu glauben. Cornelia Schleime ist mittlerweile 72 Jahre. In Denken, Fühlen und Handeln zeigt sie sich geistig beweglicher als viele aus der Gen Z. Von Verzagtheit und Weltschmerz keine Spur. Die Vollblut-Malerin, Autorin, Filmerin und Performerin ist ein Gesamtkunstwerk. Sie ist wie ihre Vaterstadt Berlin: Crazy und krass, unangepasst und verwegen. Dabei lebt sie die meiste Zeit in der märkischen Streusandbüchse. Draußen auf dem Lande. Zwischen Blumenkohl, Fuchs, Hase und Windrädern.
Farbe ist ihr Element. Ihr Fundament ein wilder Mix aus Romantizismus, Figürlichkeit und Vielschichtigkeit. Plus jede Menge Fantasie, Selbstironie und Witz. Malen ist für sie „ein Liebesakt“. Einer ihrer Vorbilder ist der Surrealist Louis Bunuel. Schleimes Bildkompositionen kombinieren häufig Frauen mit Tieren. Auf die Leinwand zaubert sie Fabelwesen, stark und selbstbewusst. Die Schleime-Menschen. Das Besondere: Die Blicke der Porträtierten ziehen die Betrachtenden magisch ins Bild hinein. Schau mir in die Augen!
Man nennt sie eine Rebellin. Das einstige Punk-Girl vom Prenzlauer Berg, als das Altbauviertel kaputt, aber kreativ war. Mit Ofenheizung, begehbaren Dächern und Klo auf halber Treppe. Kunst Made in GDR. Die Berliner Pflanze Conny kann sanft und poetisch sein, wenn sie will: „Eine Fabuliererin mit Lust am Absurden“, lobt eine Kunstkritikerin. Schleimes Motto: „Überleben durch Schönheit, um nicht an der hässlichen Wahrheit durchzudrehen.“
„Sie hasst Langeweile und Glattheit. In der DDR wurden ihre Arbeiten verboten, heute hängen sie weltweit in Museen und Galerien“, vermerkt der Deutschlandfunk. Schleime hat jeden Schritt in ihrem Leben selbst erkämpft. Mal verträumt und mädchenhaft, mal durchgeladen wie eine Kalaschnikow. Die waschechte Berlinerin lernt Friseurin, jobbt als Pferdepflegerin auf der Rennbahn in Dresden. Dabei möchte sie mit siebzehn nur eines werden: Künstlerin. Doch die DDR, in der sie erwachsen wird, setzt enge Grenzen. Unbeeindruckt probiert sie sich aus: als Grenzgängerin. Sie wird Frontfrau der ersten DDR-Punkband „Zwitschermaschine“, Friedhofswächterin, Maskenbildnerin, Aktmodell und Fotografin.
Sie studiert Malerei in Dresden, lernt mit achtzehn den Lyriker Sascha Anderson kennen. Leitfigur der Untergrund-Szene vom Prenzlauer Berg und zeitgleich Haus- und Hoflieferant der Stasi. Er verrät viele in der Szene und seine Freundin Conny gleich mit. Schleime wird mit Ausstellungs- und Berufsverbot belegt. „Natürlich hat mich das persönlich hart getroffen. Er hat sich bei mir entschuldigt und diese Entschuldigung habe ich auch angenommen.“
Sie ist Anfang dreißig, als sie die kleine DDR mit dem großen Sozialismus-Anspruch verlässt. Das war 1984. Sie reist „mit Sohn Moritz, einem Koffer und einem Federbett“ nach West-Berlin aus. Zurück blieben etwa hundert Ölbilder und tausend Zeichnungen. Beschlagnahmt oder vernichtet? Niemand weiß es. Ihre frühen Arbeiten sind bis auf Fotos und einige Super8mm-Filme bis heute nicht aufgetaucht.
Seit einem halben Jahrhundert malt, dichtet, singt, schreibt, filmt und inszeniert Schleime, was ihr auf der Seele brennt. Sie lacht gerne, redet viel und schnell, mag kein Kunstgelaber. Die Berlinerin ist bodenständig und künstlerisch enorm kreativ. Der lebende Gegenentwurf zu verkopften und dogmatischen Intellektuellen. Sie sagt: „Lachen befreit.“
In letzter Zeit wird sie mit Auszeichnungen und Preisen überschüttet, „obwohl Frauen in der Kunstbranche das Doppelte, bis Dreifache leisten müssen, bis sie anerkannt werden“, sagt ihr Galerist Judin. Heute gilt Cornelia Schleime als „Grand Dame“ und „eine der besten Malerinnen des Landes“, so die Kunstkritik.
Stellen Sie sich mal vor! Für diese Gesprächsreihe möchte ich sie gewinnen. Spontan sagt Conny zu. „Klar mache ich mit, wenn ich Zeit habe. Ich kann ja nicht weg, der alte Hund.“ Am 21. März 2026 kommt die freiheitsliebende Grand Dame des deutschen Kunstbetriebs in das kleine Theaterdorf Netzeband. „Für Euch mache ich das. Aber vorbereiten ist nicht. Kommt nicht in die Tüte.“ Klar: Conny braucht kein Drehbuch, sie atmet das Leben – in jeder Sekunde.




