„Mein Engel, mein alles, mein Ich“ 

Wann hat Sie der letzte handgeschriebene Brief erfreut? Wann haben Sie einen auf die Reise geschickt? Ja, mit Briefmarke draufgeklebt und zum Briefkasten getragen? – Vermutlich verdammt lang her. Im Zeitalter von WhatsApp, Snapchat und anderen Messenger-Diensten ist das Briefeschreiben völlig aus der Mode geraten. Es kommt noch dicker. Dänemark stellt als erstes europäische Land die Zustellung von Privatbriefen komplett ein. Ab Neujahr 2026 klingelt der Briefträger nicht mehr zweimal. Aus und vorbei. Die staatliche Post-Nord erklärt: In den vergangenen 25 Jahren sei das Briefvolumen um mehr als neunzig Prozent eingebrochen. Öffentliche Briefkästen werden abgebaut, Zustellnetze gekappt. Nach 160 Jahren Briefpost ist Schluss. Nur noch Pakete werden ausgeliefert.

 

Ein Schatz. (Liebes-)Briefe aus den frühen Achtzigern, den Mauerzeiten des 20. Jahrhunderts, als der Himmel über Berlin noch geteilt war. Ein Dank an das DDR-Ministerium für Staatssicherheit für deren Aufbewahrung.

 

Damit endet eine fünftausend jährige Geschichte der Postübermittlung. Angefangen mit den Papyrus-Botschaften im alten Ägypten über staatliche, nicht private Briefbeförderung unter Kaiser Augustus im Römischen Reich bis zur „Post für alle“, eingeführt von Reichskanzler Bismarck im Jahre 1871. In Deutschland existiert laut Postgesetz noch eine Zustellungspflicht an zwei Werktagen pro Woche. Private Briefe per Hand? Längst ein seltenes Luxusgut. Mehr als 95 Prozent der Briefe sind heute Rechnungen, Bußgeldbescheide oder Reklamekram. Wer schreibt noch Liebesbriefe, Abenteuergeschichten, Urlaubsberichte mit Füllfederhalter oder Kuli? Brieffreundschaften? Das war einmal. Alles Geschichten aus einem Land vor unserer Zeit.

„Ich küsse Dich Millionen Mal.“ Herzensbotschaften werden heute per Klick, mit Herzchen und Sonnenuntergangsbild in Sekundenschnelle gepostet. Handschrift? Briefumschlag? Porto? Anstrengend, aufwändig und langsam. Dabei verkörpert ein handgeschriebener Brief etwas, was digitale Kommunikation nie leisten kann: Persönlichkeit, Einmaligkeit, Intimität. Schreiben per Hand verlangsamt — im positiven Sinn. Man überlegt länger, formuliert bewusster und kommt nicht selten auf bessere Ideen und Gedanken.

 

Beethoven schreibt am 6. Juli 1812 an eine Unbekannte diesen Brief: „Mein Engel, mein alles, mein Ich. – … meine unsterbliche Geliebte.“ Der Brief ist bis heute erhalten. Welche Mail wird in zweihundert Jahren noch in welcher Cloud zu finden sein?

 

Franz Kafka hat seiner Verlobten Felice die schönsten Zeilen in Briefen gewidmet: „Nichts verbindet zwei Menschen so vollständig, besonders wenn sie, wie Sie und ich, nur Worte haben“. Schriftstellerin Ingeborg Bachmann schrieb mit 27 Jahren frisch verliebt an den Dichter Paul Celan: „Für mich bist Du Wüste und Meer und alles, was Geheimnis ist“. Der wohl berühmteste Liebesbrief stammt von Ludwig van Beethoven: „Meine unsterbliche Geliebte. Leben kann ich entweder nur ganz mit Dir oder gar nicht. Oh, liebe mich fort. Verkenne nie das treuste Herz Deines Geliebten. Ewig Dein. Ewig mein. Ewig Uns.“ Wer die Angebetete war, weiß nur Beethoven selbst. Seit 150 Jahren debattiert die Literaturwissenschaft die Frage, ob es sich vielleicht doch um Josephine Stackelberg geb. Brunsvick verwitwete Deym gehandelt haben könnte.

 

 

Beethovens achtseitiges Buhlen mit Bleistift auf vergilbtem Papier hat mehr als zweihundert Jahre überdauert: „Mein Engel, mein alles, mein Ich“. Ein Liebesbrief für die Ewigkeit. Schreibt Briefe, solange es noch geht.

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