„Das Land, das ich liebe“
Putins Russland. Es demonstriert Stärke, Gewalt und Härte. Der Kreml schickt seine Soldaten massenweise in den Tod. Seit drei Jahren. Die Ukraine soll unterworfen werden, offenbar um jeden Preis. Widerstand im eigenen Land scheint zwecklos. Eine nennenswerte Opposition gibt es praktisch nicht mehr. Die Repression läuft auf Hochtouren, wie einst in Stalins Zeiten. Heute reicht ein falscher Like, um hinter Gittern zu landen. Oder ein leeres Stück Papier, hochgehalten auf dem Roten Platz. Die Arbeitslager in den Weiten des Landes sind gut gefüllt. Selbst Anwälte von Regimegegnern wie des im Lager gestorbenen Alexej Nawalny werden eingesperrt. Willkommen in Putins Gulag.

Frank Gaudlitz. Kosmos Russland.
Zehntausende Oppositionelle und Regimegegner haben seit dem Großen Kriegsbeginn im Februar 2022 ihre Heimat verlassen. Kein Wunder: Als die Invasion begann, „sind in Russland 21.000 Verfahren eröffnet worden gegen die Menschen, die aus Protest auf die Straße gegangen sind. Es gibt rund 1.500 politische Gefangene mit langen Haftstrafen. Für einen Like in den sozialen Medien kann man sechs Jahre Gefängnis bekommen“, erklärt Dmitri Andrejewitsch Muratow, Mitbegründer der verbotenen Oppositionszeitung „Nowaja Gaseta“. Der Nobelpreisträger ist einer der letzten unabhängigen Journalisten Russlands, der noch in Moskau lebt.
Für Journalist Muratow ist der Deutsche Dietrich Bonhoeffer sein Vorbild und Lieblingsphilosoph. Warum? Muratow sagt in einem Zeit-Interview: „In einer Diktatur muss man den Allernächsten helfen. Man muss den Menschen, die sich einsam fühlen, deren Werte verletzt wurden, sagen: Ihr seid nicht allein! Ich stimme Bonhoeffer zu. Wir haben Hunderttausende Leser, die Unterstützung brauchen. (…) Der zweite Gedanke, den Bonhoeffer ausgedrückt hat: Die Diktatur will den Menschen total beherrschen. Man muss helfen, den Abstand zum Bösen zu halten.“ Und ein letzter Muratow/Bonhoeffer-Gedanke: „Das Böse hat das Gute besiegt. Aber das heißt nicht, dass du auf die Seite der Sieger wechseln musst.“
Junge, mutige Frauen wie Vera Politkowskaja, Tochter der 2006 ermordeten Journalistin Anna Politkowskaja, oder Jelena Kostjutschenko, mussten nach der Invasion ihre Heimat verlassen. Sie geben in ihren Büchern „dem anderen Russland“ Stimme und Gesicht. Beide Frauen sagen: „Wir lieben unser Land.“ Trotz alledem. Sie glauben: Russland könne nur eine Zukunft haben, wenn ihr Land das System Putin abschüttelt.

Mit Irina Sherbakowa in Leipzig im Herbst 2022. Kurz zuvor musste die Friedensnobelpreisträgerin und Memorial-Mitbegründerin Russland verlassen. Seitdem lebt sie im deutschen Exil.
Davon ist auch Irina Sherbakowa überzeugt. Die Mitbegründerin der Menschenrechtsorganisation „Memorial“ wurde 2022 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Das unabhängige, russische Netzwerk hat Putin als «ausländische Agentenorganisation» verbieten lassen. Die unerschrockene Publizistin arbeitet im deutschen Exil an ihrem neuen Buch. Es heißt: „Der Schlüssel würde noch passen“ und soll im November 2025 erscheinen. Sherbakowa über ihr Russland: „Man darf den Staat nicht mit dem Land verwechseln.“
Wer mehr über das andere Russland erfahren will: Memorial. Erinnern ist Widerstand. C.H. Beck. Mai 2025.