Helden der Straße
„Haste mal paar Groschen?!“ Arme, Bettler, Betrunkene, Junkies, Obdachlose, Illegale und Flüchtlinge werden sichtbar. Auf Bahnhöfen, in Fußgängerzonen, vor Supermärkten. Sozial Bedürftige in Konkurrenz. In den Städten und besonders in Berlin sind sie überall zu sehen. Menschen mit gescheiterten Biografien und tragischen Lebensläufen. Sie öffnen in Banken die Türen, putzen an roten Ampeln Windschutzscheiben, musizieren in Bahnen, verkaufen Straßenzeitungen, sitzen an Straßenkreuzungen. Sie knien auf schmutzigem Asphalt, flehen Vorbeiziehende an.
Ihr Arbeitsgerät: ein Pappbecher. Mal ein traurig-bittender Mitleids-Blick. Mal zerschlissene Kleidung. Manchmal ein Hund. Das steigert die Spenden-Bereitschaft. Diese Bürgersteig-Desperados sind Botschafter der Armut. Sichtbar, überall, nervend. Der Passant zieht den Kopf ein, beschleunigt den Schritt. Mit schlechtem Gewissen und dem Gefühl, es werden immer mehr. Gedanken brennen sich ein: Ich kann doch nicht die ganze Welt retten! Und: Gibt es kein Ende? Oder: Wird es nicht mehr besser?
„95% der Obdachlosen sind an ihrem Schicksal selbst schuld.“ Das sagt Uwe. Der Mann mit dem Rauschebart sitzt vor einer S-Bahnstation, solange Tageslicht ist. Er ist jetzt 61 Jahre alt. Hat alles hinter und nur wenig noch vor sich. Jobverlust, Spielsucht, Scheidung, Alkohol, Einsamkeit, Schulden, Obdachlosigkeit. Jetzt lebt Uwe von 430 Euro Grundsicherung. Den Rest zum Überleben erbettelt er sich. „Wenn es kalt ist, geben die Leute mehr. Besonders Frauen.“ Uwe zieht an seiner Pfeife. Der gelernte Landwirt hat Probleme mit dem Herzen. Es flattert. „Meine Pumpe will nicht mehr so“.
Was sich in letzter Zeit geändert habe, will ich wissen. „Die Zeiten sind härter geworden. Seit kurzem fragen mich die Leute, ob ich Deutscher bin, bevor sie etwas geben. Das ist neu.“ Uwe hat noch eine winzige Wohnung. Die will er nicht verlieren. „Heute schimpfen alle auf Merkel. Sie muss weg. Ich will den Bayern. Den Horst (Seehofer).“ Mit den Pegida-Leuten will er nichts zu tun haben. Da seien zu viele Braune dabei. Er hebt seine Stimme: „Damit eines klar ist: Ich bin Deutscher, kein Faschist.“
Eine Frau steckt ihm ein Schokoladen-Croissant zu. Sie lächelt Uwe kurz an. „Sollst auch was Süßes mal haben. In diesen harten Zeiten.“ Uwe streicht sich durch den Bart. Schnurrt zufrieden zurück. Sie eilt weiter. Manchmal gibt es Momente, die das Leben noch lebenswert machen. Tja, sagt sein Blick. So sieht es aus, mein Leben. Das können sich die meisten überhaupt nicht vorstellen. „Tapfer bleiben. Haltung bewahren“, sagt Uwe noch. Willkommen ganz unten!