„Unser Uwe“

„Angela Merkel war vor kurzem hier. Heimlich. Ohne Tamtam. Einfach so. Und Thomas de Maiziere auch.“ Kurze Pause. Der Mann lächelt zartbittersüß. „Eigentlich hätte ich das vorher wissen müssen. Ich bin ja der Bürgermeister.“ Der Mann grinst weiter. Lokalstolz steht ihm ins Gesicht geschrieben. Sein Städtchen Klütz ist ein Anlaufpunkt für Bundesprominenz. Warum?  Wegen eines Speichers, der zu einem Literaturmuseum für Uwe Johnson umgebaut wurde. Ein Mann, den auch sonst kaum noch jemand kennt.

Wie bitte, Klütz? Das Provinzstädtchen liegt am nordwestlichen Zipfel Mecklenburgs, auf halbem Wege zwischen Lübeck und Wismar. Eine stille, spröde Landschaft mit wortkargen Menschen, deren sanfte Hügel plötzlich in der Ostsee versinken. Ein Flecken Erde, einst Deutsche Demokratische Republik. Mitten in Deutschland, jedoch zwei Generationen lang in tödlicher Randlage. Östlicher Außenposten vor dem reichen Westen, gegen den sich die Oberen mit Sperranlagen und Küstenschutzbooten abriegelten. Zu viele schwammen von hier einfach rüber. Die meisten schafften es.

 

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Uwe Johnson. Schriftsteller im eigenen Auftrag. (1934 – 1984)

 

Uwe Johnson war vermutlich nie hier, muss die freundliche Mitarbeiterin des Klützer Literaturhauses eher kleinlaut einräumen. Aber der gleichfalls verschlossene wie geniale Chronist des geteilten Deutschlands Johnson erfand in seinen „Jahrestagen“ einen fiktiven Ort mit dem Namen Jerichow. Und dieses Jerichow „unweit der Lübecker Bucht“ passe auf Kluetz wie der sprichwörtliche Deckel auf den Topf. Darum das Literaturhaus.

Uwe Johnson war ein vertriebener Heimatdichter im besten Sinne. Er beschrieb Menschen, Landschaften und Traditionen, die sonst verloren gingen. Rastlos war er unterwegs, nirgendwo zuhause. Ein heimatloser Intellektueller. Geboren in Pommernland, seine Heimat im Nazi-Krieg abgebrannt. Aufgewachsen in der Barlach-Stadt Güstrow. Studium in den Fünfzigern in Leipzig. Parteifunktionäre, die ihm die Luft zum Atmen nehmen. Wechsel, nicht Flucht, wie er stets betonte, von Ost- nach West-Berlin. Dann der große Sprung nach New York, bald weiter in eine arme Arbeitergegend nach London. Dort starb er gerade mal mit 49 Jahren. An Alkohol, Weltschmerz und gebrochenem Herzen.

„Auch die rücksichtsloseste Diktatur“ ist nicht in der Lage „die Seelen ihrer Opfer zu beherrschen“, schrieb der Kritiker Joachim Kaiser über den unerschrockenen Erzähler Uwe Johnson. Mitglied der legendären „Gruppe 47“ und Weggefährte von Günter Grass, Max Frisch und Hannah Arendt. Johnson träumte die Sehnsucht vom freien Leben – ohne Unterordnung, Willkür und eitle Kulturfunktionäre.

 

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Uwe Johnsons Studienbuch an der Uni Rostock in der DDR.

 

In Klütz, am mecklenburgischen Ende der Welt, sind Spuren seines kurzen intensiven Lebens liebevoll zusammengetragen worden. Der vergessene Dichter darf hier reden: „Das Romane-Schreiben kann auch Geschichten-Erzählen sein. Für mich ist da aber noch etwas anderes dabei, nämlich der Versuch, ein gesellschaftliches Modell herzustellen. Das Modell besteht allerdings aus Personen. Diese Personen sind erfunden, sind zusammengelaufen, aus vielen persönlichen Eindrücken, die ich hatte. Und insofern ist der Vorgang des Erfindens eigentlich ein Erinnerungsvorgang.“ (Uwe Johnson. 29. Juli 1971)

 

 

Mehr Erinnern an diesen außergewöhnlichen Schriftsteller im Uwe-Johnson-Literaturhaus in Kluetz. Im Winter nur Do bis So von 10-16 Uhr geöffnet.

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