Heroes

„Was haben Ihnen Ihre jahrelangen Studien der Natur über die Seele Gottes verraten?“ fragte der Papst Anfang des 20. Jahrhunderts den Naturforscher Alfred Russell Wallace. Seine Antwort: „Über die Seele Gottes habe ich nichts erfahren, aber eines ist sicher: Er hat eine große Vorliebe für Käfer.“ Roger Willemsen war wie der Tierforscher Alfred Brehm, über den er bienenfleißig ein Buch schrieb. Während der Zoologe Brehm 9.000 ausgestopfte Vögel untersuchte, sammelte Willemsen in seiner Welt Menschen und ihre Schicksale.

 

Ich hätte in diesen Tagen gerne einen Text von Roger Willemsen über den Abgang der Pop-Helden gelesen. Über die Bowies, Princes, Manfred Krugs, Cohens und George Michaels dieser Welt. Sie verließen uns 2016, so wie viele unserer Illusionen von einer freien und besseren Welt einfach dahinschmolzen. Die Helden schienen unsterblich. „Heroes, just for one day“. Sie versprachen in ihren Songs ewige Jugend, Kühnheit und die Willensstärke der Außenseiter, die sich von nichts aber auch gar nichts unterkriegen lassen. Forever young.

Aus und vorbei.

 

„We are heroes – just für one day“. David Bowie. 1947-2016.

 

Kein David Bowie, kein Prince, kein Leonard Cohen. Ihr Rebellentum muss fortan unter Grabsteinen gesucht werden. Wie bei Alfred Edmund Brehm. Über den Sammler notierte Willemsen allerdings Überraschendes: Er trat an, gegen „Pfaffenthum und Weltweisheit, gegen Schreibtischgelehrte in ihrer hohen und hohlen Weisheit.“ Er mischte „Empathie mit Empirie“, leuchtete historische Quellen aus und sammelte Beobachtungen. Fast wie bei Popstars. Die wir uns sowieso größer, stärker, entschlossener malen als sie jemals sein können.

 

Jede Zeit braucht Helden. Besonders in Zeiten, in denen – wie gerade – vorlaute Heilsbringer mit falschen Versprechen die Bühne erobern. „Raus in die Welt und raus aus der Welt“. Willemsen suchte stille, bescheidene, selbstlose Helden. Er beschrieb sie, setzte ihnen kleine Denkmäler gegen das Vergessen. Ob in Afghanistan oder Wanne-Eickel. Willemsen rannte rastlos durch sein Leben. Er führte mindestens sieben Leben. Tausende Interviews, Hunderte von TV-Sendungen, 36 Bücher.

 

Grabstätte Roger Willemsen (1955-2016) in Hamburg-Ohlsdorf. Jeder der Trauergäste durfte sich einen der 300 Ranunkel-Töpfchen mitnehmen. Seine Lieblingsblumen.

 

Am Ende faszinierte ihn die Perspektive des Todeskandidaten auf das Leben. Dieser kurze, rasante Countdown knapp vor dem Finale. Daraus bezog er seine Atemlosigkeit und Dringlichkeit. Sie bewahrte ihn vor stumpfsinnigem Fernsehkarrierismus und anderen Eitelkeitsfallen der Branche. Am Schluss fehlte ihm die Zeit. Er starb viel zu früh. Mit sechzig Jahren jung genug, um unstillbar neugierig zu bleiben, während andere mit dreißig vergreisen. Weil sie nichts mehr aufregt, alles nur noch langweilt. Sie träumten einmal so zu sein wie Bowie oder Prince. Oder vielleicht auch Willemsen. Zu spät. So ist das Leben. Alles Roger!

 

 

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