Der große Deal
Deals zu machen ist in. Donald Trump lebt das Big Business vor. Beim Deal gewinnt der eine, der andere verliert. Wie herrlich altmodisch war da Ludwig Erhard. Einst konservativer Kanzler mit Zigarre. Vater des westdeutschen Wirtschaftswunders. Verfechter der Sozialen Marktwirtschaft. Sein Motto: Wohlstand für alle. Für den CDU-Mann war der Kompromiss das Wesen einer Demokratie. Ein gelungener Deal bedeute, dass beide Seiten am Ende glauben, das größere Stück vom Kuchen abbekommen zu haben.
Wenn heute nach Gründen der Demokratieferne und -Müdigkeit der Ostdeutschen gefragt wird, muss an den großen Deal der neunziger Jahre erinnert werden. Das Prinzip Rückgabe vor Entschädigung war ein genetischer Fehler der Einheit. Eine Vorkriegs-Urkunde zählte mehr als jahrzehntelanger Besitz. Über 2,2 Millionen Rückgabeforderungen auf Wohn- und Wochenendgrundstücke wurden eingereicht und zum allergrößten Teil realisiert. Zwischen 1990 und 1991 verloren rund 2,5 Millionen Ostdeutsche ihren Arbeitsplatz. Zu keinem anderen Zeitpunkt in der deutschen Nachkriegsgeschichte verloren so viele Menschen Jobs und ihre alte Heimat.
Gelernte DDR-Bürger hatten viele Fähigkeiten. Das wichtigste Talent: Aus Nichts das Beste machen. Sie konnten Leitungen unter Putz legen, Geräte reparieren, Rohre verlegen. Sie hatten jedoch nicht gelernt, in Konkurrenzsystemen Karriere zu machen. Viele der Generation 40plus gingen folgerichtig einfach unter. Das DDR-System hatte stets verlangt, still zu sein. Der Westen verlangte nun, schrill zu sein. Jeder soll zuerst an sich denken, dann ist am Ende an alle gedacht. Der (neoliberale) Schlachtruf der letzten Jahrzehnte.
Betriebe wurden geschlossen, Büros geleert, Biografien abgewickelt. Viele der Abgehängten zogen sich beleidigt zurück, wurden empfänglich für einfache Wahrheiten. Sie folgten Gruppen, die von einem Deutschland in den Grenzen von 1937 träumten. In den neunziger Jahren entschied häufig der Zufall, ob jemand Neonazi, Manager, Trinker oder Scientologe wurde. Es war nur eine Frage, wer als erster über den Weg lief und einen mitnahm. Die Enttäuschten bildeten die Fußtruppen der Pegida-Verführer. Heute sehnen sich unzählige Menschen nach Ordnung, Übersichtlichkeit und Heimat.
Was lernen wir aus der Geschichte? Wenig bis nichts, dämmert uns. Ein Gedanke, der unangenehm die Beine hochkriecht. Erich Kästner formulierte einmal scharfsinnig: „Immer wieder kommen neue Maler, die die Wände neu anstreichen. Es ist immer eine andere Farbe, aber immer dieselbe Wand.“ Es ist ärgerlich, dass es Diktaturen gibt. Aber noch ärgerlicher ist, dass immer wieder von neuem jede Menge Menschen mitmachen. Viele davon sind sogar äußerst intelligent.
Ludwig Erhard. Vor 120 Jahren geboren. Vor genau sechzig Jahren schrieb er den Klassiker „Wohlstand für alle“. (1957). Auf den Mann mit der Zigarre steht auch Sahra Wagenknecht.