Ball im Korb
Was geschieht, wenn zwei Außenseiter aufeinandertreffen? Wenn ein schwarzer Lulatsch in eine traditionsreiche aber verschlafene Unistadt zieht, um dort mit seinem Talent eine Randsportart nach vorne zu bringen? Dann kann sich eine gute Geschichte entspinnen. Im Glücksfall sogar ein richtig toller Wurf. In diesem Fall hat der Ball in den Korb gefunden. Es geht um „Deutschland für eine Saison. Die wahre Geschichte des Wilbert Olinde Jr.“ Dieses Buch erzählt von einem deutschen Basketball-Märchen, das bis heute anhält.
Autor Christoph Ribbat, ein Anglistik-Professor, ist eine beeindruckende Nahaufnahme der Göttinger Basketball-Legende Wilbert Olinde gelungen. Ende der siebziger Jahre war Wilbert einer der ersten schwarzen Profis in der provinziellen deutschen Bundesliga. Für eine Saison wollte er bleiben. Es wurde ein Leben daraus. Was fand er 1977 vor? Ein studentisches Team mit gewissen Ambitionen und bescheidenen Erfolgen. Beim SSC Göttingen zählen andere Werte. Bei den Auswärtsspielen wird nach einer Stunde im Bus Rothändle geraucht. Nach dem Spiel warten zwei volle Kisten Bier. Ob Sieg oder Niederlage, zum Auspegeln trifft man sich im Rialto oder beim Altdeutschen. Dieter Bohlen ist dort Stammgast.
Olinde kommt in das Deutschland der Siebziger. Der Fußgängerzonen und RAF-Hysterie. „Yes Sir, I can boogie“, ist der populärste Song. Der Göttinger Chemie-Professor Michael Buback forscht an den Grundlagen der Kunststoffgewinnung. Ein Göttinger Mescalero-Aufruf bekundet „klammheimliche Freude“ über den Tod seines Vaters Siegfried Buback. 1977 erscheinen Reiner Kunze „Die wunderbaren Jahre“, Erica Jong „Die Angst vorm Fliegen“, Erich Däniken, Herbert Gruhl „Ein Planet wird geplündert“, Erich Fromm „Haben oder Sein“. Die Deutschen interessieren sich verstärkt für alternative Gesellschaftsmodelle. Die Grünen stehen vor dem Eisprung. Der Göttinger Student Jürgen Trittin ist einer ihrer Geburtshelfer.
Wilbert Olinde, Typ kalifornischer Sunnyboy, genannt die Schwarze Perle, verhilft dem Uni-Team zu größten sportlichen Erfolgen. Die Göttinger werden zweimal Deutscher Meister. Das haben sie danach nie wieder geschafft. Olinde spielt smooth, flüssig, elegant. Wenig später wird Basketball auch in Deutschland härter, dynamischer, kommerzieller. In den letzten Jahren haben viele Tausend US-Profis in deutschen Ligen angedockt. Längst ist auch diese Sportart eine Arena der globalen Gladiatoren und Glücksritter.
Als schwarzer Pionier musste sich Olinde „Hornhaut auf dem Trommelfell“ wachsen lassen. Die Entscheidung Deutscher zu werden, habe ihn dennoch „glücklich gemacht“. Das Leben sei einfacher als in den USA. Besonders bei den Studentinnen beliebt, punktet der Modellamerikaner – bis ihn sein Knie im Stich lässt. 1987 schließlich nach 4.640 Punkten das Aus.. Es gibt kein Abschiedsspiel. Ein Krebstumor beendet alle Ambitionen.
Olinde übersteht die schwere Krankheit und erfindet sich neu. Er arbeitet als Versicherungsangestellter, Damentrainer, schließlich gründet er seine Coaching-Firma Black Pearl Inspiration. Das positive Denken wird zu seinem Beruf. Motto: Jeden Tag solle man sich sieben Minuten frei Notizen machen.
Heute lebt Olinde in Hamburg. Sohn Louis Olinde ist 2 Meter 05 groß, Schuhgröße 48. Er tritt mittlerweile in Vaters Fußstapfen. Louis spielt beim Spitzenteam in Bamberg. Kritik an ihm: Der 19jährige soll mehr den Bad Boy heraushängen. Er spiele zu aristokratisch. Das warf man auch seinem Vater vor. Deutschland für eine Saison ist keineswegs eine Basketball-Heldengeschichte. Das Buch erzählt unaufdringlich auch vom alltäglichen Rassismus auf beiden Seiten des Atlantiks. Und zeigt einmal mehr: Sport ist neben Musik die einzige echte Chance für junge Schwarze nach oben zu kommen. In die Spitze zu den Auserwählten und Anerkannten.
Ein kluges Buch. Christoph Ribbat. „Deutschland für eine Saison. Die wahre Geschichte des Wilbert Olinde Jr.“ Suhrkamp.