Zuhören
Wäre es möglich ein oder zwei dieser Menschen kennenzulernen? Meine Bitte geht an die Leiterin eines Sprach-Netzwerkes, von dem ich nichts wusste. Roswitha Keicher lacht. Sie ist die Chefin von mehr als 400 Übersetzern und Dolmetschern aus 41 Nationen. Sie nennt sie Mittler. In Heilbronn haben mehr als die Hälfte der Menschen einen Migrationshintergrund. Gebürtige Schwaben sind in der Minderheit. Heilbronn ist eine traditionsreiche und wohlhabende Stadt. In der Industriestadt im Südwesten leben heute 140 Nationen. Ein modernes Babylon.
Als wir im Heilbronner Rathaus eintreffen, ist die Überraschung perfekt. Dutzende Menschen versammeln sich. Von Minute zu Minute werden es mehr. Es sind überwiegend Frauen. Die Stimmung ist gelöst. Viele umarmen sich. Sie kommen aus Ägypten oder Togo, Albanien oder dem Iran. Rasch sind es mehr als siebzig Ehrenamtler innerhalb von wenigen Stunden mobilisiert. Sie sind Übersetzer, Welcome-Guides, Elternmultiplikatoren. Was sie verbindet? Sie halten Heilbronn am Laufen. Sie arbeiten in Ämtern, Schulen, Vereinen, Organisationen. Sie sind dort, wo Hilfe gebraucht wird. Ohne sie geht nichts.
Integrationsfrau Roswitha Keicher hat Wort gehalten. Heilbronn hat etwas zu bieten, ist Vorreiter. Mit der Ausdauer und dem Fleiß einer schwäbischen Hausfrau organisiert sie seit knapp zehn Jahren das Zusammenleben in ihrer Heimatstadt. Sie schafft es auch, die gute Stube, den großen Ratssaal für das Treffen zu öffnen. Mit so viel Zuspruch hatte niemand gerechnet. So versammeln wir uns vor dem Porträt des Heilbronner Ehrenbürgers und ersten Bundespräsidenten der Nachkriegszeit Theodor Heuss. Im Saal ist eine Stimmung wie auf einer UNO-Vollversammlung in New York. Die Welt ist zu Gast.
Ich will wissen, ob Integration in einer Multi-Kulti-Stadt wie Heilbronn funktioniert? Die Wünsche der Frauen – die wenigen Männer halten sich eher zurück – sind einfach und kommen aus dem Leben: Anerkennung von Schulabschlüssen, kommunales Wahlrecht oder schlicht weniger Bürokratie bei Aufenthaltsfragen. Das wäre schon eine Menge, sagt eine Russland-Deutsche. Unisono loben die Frauen Heilbronn und die Chancen, die sich bieten. Doch ein wenig mehr Anerkennung, so eine zugewanderte Italienerin, wäre schön. „Wir bereichern mit unserer Kultur ja auch die Stadt.“
Was ich zum Schluss noch erfahren will: Wer fühlt sich als echte Heilbronnerin oder Heilbronner? Alle Arme gehen hoch. Keine Frage: Diese Menschen wollen sich beteiligen und fühlen sich längst integriert. Roswitha Keicher nickt zufrieden. „Es geht doch, wenn man nur will. Hier ist ein riesiges Potential, welches das Land nutzen kann.“ Nach mehr als einer Stunde Zuhören gehen wir auseinander. Am Ausgang sprechen mich noch zwei Frauen an. Sie sagen, die entscheidende Frage hätte ich nicht gestellt. Ich stutze. „Ja, ob wir verheiratet sind oder nicht!“ – Sie lachen fröhlich und verschwinden im Getümmel ihrer Kollegenschar.
Schade daß ich an den Tag krank war!
Wäre gern dabei gewesen.
Danke an Fr Keicher und Fr Seven
Italienisch und Französisch