Mehr Wibke wagen
Was diese Frau alles bewegte. Wibke Bruhns präsentierte die ZDF-Nachrichten – als erste Frau im Blümchenkleid. Damals eine Sensation in der westdeutschen Männerwelt. Fast fünfzig Jahre ist es her. Und stets die gleiche Frage: wie war´s beim ersten Mal? Saß die Frisur? Gab es einen Versprecher? Wibke: „Wir durften an dem Text nix machen zum Wohle der Grammatik. Der langweiligste Job meines Lebens.“ Aber sie wollte keine „Sprechpuppe“ sein. War sie auch nie.
Einfach nur Nachrichten verlesen war nicht ihr Ding. Wibke Bruhns mischte sich ein, machte 1972 Wahlkampf für die SPD, für Willy Brandt. Als Nachrichtensprecherin. Das war damals noch möglich und führte zielsicher zum Skandal. Ein einziger Shit-Storm ging über sie hernieder. Alle trotzten: Wibke. Das ZDF. Ihr Publikum. Wibke wurde zum Vorbild für eine ganze Generation. Doch die kalte Rache folgte auf dem Fuß. Man dichtete ihre eine Affäre mit Willy Brandt an. Es ging um ein Collier. Aber vielmehr um ihren Ruf. Sie wehrte sich. Die Legende von der Kanzler-Geliebten hielt sich bis heute. Sie sollte Recht behalten. „Auf meinem Grabstein wird irgendjemand schreiben. Sie war die erste Nachrichtenfrau und die Geliebte Willy Brandts.“
Kämpfen, eigene Wege gehen, nicht aufgeben, das war ihr wohl in die Wiege gelegt. Aufgewachsen in Halberstadt als fünftes Kind einer großbürgerlichen Unternehmer-Familie. Vater Hans-Georg Klamroth wurde 1944 von den Nazis als Verschwörer gegen Hitler in Plötzensee hingerichtet. Wibke musste lernen, dass sie selbst im Nachkriegs-Deutschland noch als Mitglied einer Verräterfamilie attackiert wurde. „Entweder du gehst daran kaputt oder du wirst stärker“, antwortete sie selbstbewusst. Motto: Lächeln, auch wenn es schwer fällt.
Ihr zentrales Lebensthema – das Schicksal ihrer Familie – verarbeitete sie 2004 in ihrem Bestseller „Meines Vaters Land“. Ein Generationenkonflikt. Was hast Du damals getan? Ungeschminkt erzählt sie die tragisch-aufwühlende Familiengeschichte. In ihrer Autobiografie „Nachrichtenzeit“ (2012) schilderte sie schnörkellos ihre Stationen als Journalistin. Ob in Hamburg oder Bonn, Jerusalem oder Washington, bei den Mächtigen oder Ohnmächtigen. Wibke Bruhns war eine genaue Beobachterin und unerschrockene Zeitzeugin. Auch wenn sie das ungerne hören mochte. „Es ist zum Kotzen wofür ich alles herhalten sollte. Ich habe doch nur meinen Job gemacht.“
Klartext reden, das war Wibke Bruhns. Offen, frech, fröhlich. Manchmal auch beißend bis an die Schmerzgrenze. Wibke: „Ärger stählt. Ich habe nie Schwierigkeiten gehabt mich mit irgendjemandem rumzuzanken. Es sei denn, ich war hochmütig. Dann kriegte ich eins auf den Deckel. Das war auch in Ordnung.“
Mit dem heutigen Journalismus haderte sie: „Was heute im Programm ist, kann ich kaum noch aushalten. Fernsehen machen ist auf jeden Fall schöner als Fernsehen schauen.“ – Chapeau, Madame! Also zogen wir 2018 noch einmal gemeinsam los. Zögernd und eher widerwillig stellte sie sich einem Filmprojekt zu den Fragen über die 68er. Fünfzig Jahre danach. „Was soll ich denn da?“, fragte sie. „Ich bin keine 68erin.“ Korrekt – Wibke Bruhns. Widerspruch war ihr Leben. Dazu brauchte sie keine Jahrestage, keine inszenierten Heldengeschichten, keine Konferenzen oder Jubelfeiern. Einfach sagen, was ist. Das war ihr Leben.
Ihr letztes Projekt 2018. Wibke Bruhns zieht Bilanz. Was haben die 68er erreicht? – Für Eilige: Wibke Bruhns ab TC 13:18.
Wibke Bruhns starb im Alter von 80 Jahren in Hamburg am 20. Juni 2019.