Über sieben Brücken
Das Lied ist ein echter Ohrwurm. Und längst deutsches Kulturgut – im ganzen Land, nunmehr seit fast dreißig Jahren vereint. „Über sieben Brücken musst du gehen“. Wer aber konstruierte die Brücken? – Helmut Richter. Ein Ingenieur und Dichter. Jemals gehört? Wohl kaum. Einige wenige kennen seinen Roman „Scheidungsprozess“ oder Hörspiele wie „Schornsteinbauer“ und „Alfons Köhler“. Mit seinem Brückenlied traf er ins Schwarze. Ein Lied, das buchstäblich über Nacht berühmt wurde. Richter schrieb den Song eigentlich für eine DDR-Fernsehproduktion im Jahre 1978. Der Film erzählt die Liebesgeschichte eines deutsch-polnischen Pärchens. Der vierminütige Abspann ist mit dem Song der Ost-Berliner Band Karat unterlegt. Das Lied traf den Nerv. Karat verkaufte ihren größten Hit über eine Million mal. Die Brücken gingen auf eine lange Reise.
1980 coverte Peter Maffay den Karat-Song. Die sieben Brücken überwanden flugs die innerdeutsche Grenze. Maffay gelang in der Bundesrepublik ein Riesenerfolg. Wie heißt es so schön: Musik kennt keine Grenzen. Mittlerweile sind über hundert Versionen in mehr als dreißig Sprachen erschienen, unter anderem von Max Raabe und Jose Carreras.
Helmut Richter selbst blieb unbekannt. Ein stiller Mann aus Leipzig, der sich jedoch große Verdienste um die Literatur erwarb. Den Schneidersohn aus dem Sudentendeutschen verschlug es nach dem II. Weltkrieg in die damalige Ostzone. Zunächst arbeitete er in der jungen DDR als Landarbeiter und Maschinenschlosser. Doch er wollte mehr. Er absolvierte die Arbeiter- und Bauern-Fakultät und studierte Physik in Leipzig. Seine Leidenschaft aber galt nicht seinem Brotberuf Prüfingenieur sondern dem Dichten.
Das Original
Er hing den sicheren Job an den Nagel, um als freier Schriftsteller sein Glück zu suchen. Er schrieb Drehbücher, Hörspiele und Gedichte. Er textete die „Sieben Brücken“. 1982 gründete er die „Leipziger Blätter“, deren Cheflektor er bis 1989 blieb. Die Zeitschrift hat überlebt, es gibt sie noch heute. 1990 wollten Studenten und Mitarbeiter des Literatur-Instituts einen Neuanfang. Sie wählten Richter zum Direktor. Sein größter Erfolg: Er wendete die Abwicklung des Instituts ab, auch mit Hilfe von prominenten Autoren wie Elfriede Jelinek oder Peter Turrini. Nach der Rettung gab er 1993 seinen Posten wieder auf. Er wollte lieber frei sein und Gedichte schreiben. Das reizte ihn mehr als ein Leben als Kulturfunktionär.
Das Cover
Richter muss ein feinfühliger, genauer Beobachter gewesen sein. Seine Brücken-Geschichte mit der Deutschen Gitta und dem Polen Jerzy verlegte er an die Grenzflüsse Oder und Neiße. Die beiden wollten sich weder durch Vorurteile noch durch Grenzen aufhalten lassen. So bestieg er seine „sieben Brücken“.
manchmal wünsch ich mir mein Schaukelpferd zurück
manchmal bin ich ohne Rast und Ruh
manchmal schließ ich alle Türen nach mir zu
Manchmal ist mir kalt und manchmal heiß
manchmal weiß ich nicht mehr was ich weiß
machmal bin ich schon am Morgen müd
und dann such ich Trost in einem Lied
sieben Mal wirst du die Asche sein aber einmal auch der helle Schein
Manchmal scheint die Uhr des Lebens still zu stehn
manchmal scheint man immer nur im Kreis zu gehen
manchmal ist man wie von Fernweh krank
manchmal sitzt man still auf einer Bank
Manchmal greift man nach der ganzen Welt
manchmal meint man dass der Glücksstern fällt
manchmal nimmt…
Helmut Richter ist Anfang November im Alter von 85 Jahren in seiner Wahlheimat Leipzig gestorben. Sein Lied macht ihn unsterblich. Die Sieben Brücken halten und sind stabil. Sehr stabil. Was für ein wunderschöner Wurf!