Das Märchenschloss von Gentzrode
In Zeiten des Stillstandes gilt: Viele Pläne sind in die Zukunft zu verlegen. Die Vergangenheit taugt nur für Romantiker, die Gegenwart eignet sich eher für Entdecker. Momentan geht das nur in der Nähe, das Fernweh muss sich gedulden. Wie wäre es daher mit Gut Gentzrode? Eine gute Autostunde von Berlin entfernt zwischen Neuruppin und Rheinsberg. Hier ist Brandenburg am Brandenburgischsten. Eine stille Region, in der das einstige Preußen unter jedem aufgehobenem Stein eine Geschichte erzählen kann. Die beige-bunten Steine von Gentzrode berichten von kühnem Größenwahn und kauziger Kleingeisterei.
Auf nach Gentzrode. Seit fast 150 Jahren versteckt sich ein hochherrschaftliches Anwesen in dichtem Kiefernwald. Ein wundersames orientalisches Märchenschloss. Einst Sitz der Kaufmanns-Familie Gentz. Diese gelangte durch Torfabbau zu Wohlstand und reiste viel, bevorzugt in den Orient. Unternehmer Alexander Gentz beauftragte 1876 mit Martin Gropius einen der besten Architekten seiner Zeit. Dieser entwarf mit seinem Partner Heino Schmieden ein wahres Prachtschloss im Zeitgeist des orientalischen Historismus. Geld spielte offenbar keine Rolle. Übrigens: Martins Neffe Walter Gropius sollte als Bauhaus-Architekt weltberühmt werden.
Der märkische Goethe Theodor Fontane zeigte sich auf seinen Wanderungen durch die Mark Brandenburg bei seiner Visite von Schloss, Park und Wirtschaftsgebäuden beeindruckt. „Der Reiz, den diese Gentzroder Schöpfung von Anfang hatte, wird ihr noch auf lange verbleiben, der Reiz, dass hier alles erst im Werden ist. Unsere Teilnahme haftet am Unfertigen. „Was wird sich bewähren, was nicht?, „Wie wird sich´s entwickeln?“ Das sind die Fragen, die von alters her uns an Menschen und Dingen am meisten interessiert haben.“
Das Schloss brachte dem ehrgeizigen Gentz-Chef kein Glück. Die Familie mit dem „vollkommen dynastischen Gefühl“ übernahm sich mit dem Prachtbau, zudem stagnierte das Torfgeschäft. Kohle löste Torf als billiges Heizmaterial der Hauptstadt ab. Seniorchef Gentz ging kurz nach Fertigstellung des Märchenschlosses „bankrutt“, wurde verhaftet und wegen Betruges verurteilt. „Er raste, jeder Warnung unzugänglich, in sein Verderben hinein, durch nichts berechtigt oder entschuldigt als durch den Glauben an seinen Stern“, notiert Fontane. Der stolze Bankrotteur musste das Gut „gebrochen an Leib und Seele“ verkaufen.
Fortan wechselte das Schloss munter seine Besitzer, wurde zum reinen Spekulationsobjekt. Amtmänner, Zuckerfabrikanten oder auch ein Konsul gaben sich die Klinke in die Hand. 1934 übernahm die Wehrmacht das Anwesen samt Herrenhaus und funktionierte das riesige Areal zum Schießplatz und Munitionslager um. Nach dem Untergang des Dritten Reiches übernahm 1945 die Rote Armee Gut Gentzrode. Deren 112. Garderaketenbrigade wiederum übergab Herrenhaus, Kornspeicher und das gesamte militärisch genutzte Gelände 1991 kampflos an die Bundesrepublik Deutschland.
Die neue Zeit brachte Gut Gentzrode keine blühende Zukunft. Im Gegenteil. Der Staat ließ das Areal verkommen, verscherbelte es 2000 an einen Baumschulen-Besitzer, der es wiederum 2010 an eine türkische Baufirma weitervertickte. Aus all den großspurigen Plänen für Golf-Resorts, Hotels oder was-sonst-noch wurde nichts. Die Behörden schauten diskret weg. Nach mittlerweile dreißig Jahren Leerstand ist Gut Gentzrode – ein Denkmal von „nationaler Bedeutung“ – am Ende. Nichts als eine ruinierte Schönheit, ein Lost Places. Ein Ort für Träumer, Pilzsucher und Romantiker.
Das ist die wundersame Geschichte von einem Spuk-Schloss in Dauer-Quarantäne. Aber vielleicht gibt es doch noch ein Happy End?