„Zu feige“

Auf einer Mittelinsel mitten im Verkehrslärm der Berliner Uhlandstraße steht eine neue kleine Gedenktafel. Dort ist zu lesen: „Hier wurde in den letzten Tagen des April 1945 ein 17-Jähriger von den Nationalsozialisten erhängt.“ Auf und vor der Tafel liegen ein paar frische Blumensträuße. Selten bleibt ein Passant an dieser belebten Straße im Berliner Westen stehen. Verharrt für einen Moment um zu lesen, was dort steht.

Was ist hier passiert? Die Front nahte. In den letzten Kriegstagen hatte sich ein Junge in einem Keller im bürgerlichen Bezirk Wilmersdorf versteckt. SS-Männer zogen den 17-Jährigen aus seinem Versteck und knüpften ihn an einer Laterne vor dem Haus Uhlandstraße 103 auf. Die Wäscheleine dazu hatten sie sich im Nachbarhaus beschafft. Um den Hals banden sie dem Jugendlichen ein Schild. Dort war zu lesen: „Ich war zu feige, für Deutschland zu kämpfen.“ Zur Abschreckung blieb sein Leichnam mehrere Tage hängen.

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Berlin-Wilmersdorf. Uhland-Straße. Eine unscheinbare Gedenktafel mitten auf der Straße.

Wer war dieser Junge, fast noch ein Kindersoldat? Auch siebzig Jahre danach ist nur bekannt, dass er zum Volkssturm gehörte und eine viel zu große Jacke trug – ausgerechnet eine der Waffen-SS. War er freiwillig bei der SS eingetreten wie einst Günter Grass oder hatte er die Jacke einfach gefunden? Ist er denunziert worden? Wie war sein Name? Wo kam er her? Welche Pläne hatte er?

Bis Anfang der fünfziger Jahre legten Anwohner am Todestag Blumen vor dem Haus nieder. Sie erinnerten mit einem beschrifteten Pappkarton an die Hinrichtung auf offener Straße. Vor zwanzig Jahren unternahm eine Friedensinitiative einen ersten Versuch, an den unbekannten Toten zu erinnern. Deren Antrag auf eine Gedenktafel wurde damals von der Kommission abgelehnt – wegen der Waffen-SS-Jacke.

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Die neue Gedenktafel. Vor 20 Jahren war ein Antrag in Berlin gescheitert. Begründung: der hingerichtete Junge hatte eine Waffen-SS-Uniformjacke an.

 

Adolf Hitler hatte einmal erklärt: „Soldaten können sterben. Deserteure müssen sterben.“ Der Junge aus der Uhlandstraße ist einer von 3.760.000 toten Wehrmachtssoldaten des II. Weltkrieges. Er starb in letzter Minute, weil er nicht mehr kämpfen wollte. Wenige Stunden, bevor die Rote Armee auch die Wilmersdorfer Uhlandstraße von SS-Kommandos befreite.

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