L237 – Ein Dachboden enthüllt seine Geheimnisse

In der Straße Dlouha 24 in Terezin steht ein unscheinbares Eckhaus. Eine Pizzeria bietet im Erdgeschoss Pasta, Pizza und frisches Budweiser vom Fass an. Oben auf dem Dachboden hat sich siebzig Jahre lang ein gut gehütetes Geheimnis verborgen. Hier hat ein junger Mann zwischen Müll und Gerümpel Zeichnungen und Graffitis entdeckt. Zeichnungen von Kindern. Schauplatz: Terezin, auf Deutsch Theresienstadt. Das zweistöckige Haus gehörte einmal zum Block L 237. Mitten im Ghetto.

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Theresienstadt. Dlouha 24. Einst Bahnhofstraße. In der Zeit des Ghettos: Block 237.

Lukas Lev ist ein aufgeweckter tschechischer Student. Er verdient sein Geld mit Touristen, die aus der ganzen Welt nach Theresienstadt kommen – rund siebzig Kilometer nördlich von Prag. Kenntnisreich und energisch führt er die Besucher durch Festung und Garnisonstadt Terezin. Von der K.u.K-Monarchie im 18. Jahrhundert errichtet, um die Preußen aufzuhalten. Das Bollwerk wurde jedoch nie gebraucht. Erst die Nazis nutzten die monumentale Anlage als Aufnahme-, Sammel- und Durchgangslager. Es war – vor allem – ein Todeslager.

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„Mein liebes Bavorov – Städtchen im Böhmerwald.“ Eine der Wand-Botschaften aus dem Jahre 1944.

Von den 140.000 eingepferchten europäischen Juden starben in Terezin mindestens 35.000. Die meisten Insassen wurden zwischen 1942 und 1944 von dort aus weiter in die Vernichtungslager nach Osten transportiert. Endstation: Auschwitz. Über Theresienstadt gibt es einen legendären Propaganda-Film der SS. Der zehnminütige Streifen zeigt das Lager als blühende Landschaft mit Kräutergarten, Bäckerei, Theater und wohlversorgten Ghetto-Insassen.

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Karlsbrücke und Burg in Prag. Zeichnung auf dem Dachboden nach 70 Jahren entdeckt.

 

Die Wirklichkeit sah anders aus. Von 15.000 Kindern haben gerade 150 das Ghetto überlebt. Auf dem Dachboden im Block L237 hat Lukas Lev letztes Jahr an Wänden und Dachbalken letzte Hinterlassenschaften von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen entdeckt. Heimliche Zeichnungen. Zeichen des unbedingten Überlebenswillens. Sie erzählen von Hoffnung und Heimweh, Liebeskummer und Läusen. In insgesamt elf Dachböden sind solche beeindruckenden Botschaften gefunden worden.

Besonders die Zeichnungen der Kinder gehen unter die Haut. Bilder von Marienkäfern und Windmühlen. Es sind krakelige Hilferufe nach einem Leben ohne Gewalt, Angst und Willkür. Diese Zeugnisse wurden in den letzten Jahrzehnten vergessen. Sie sind akut bedroht, weil sich niemand von offizieller Seite findet, der die Funde retten will. Lukas Lev hat seine Arbeit bislang komplett aus eigener Tasche finanziert. Anfang Juni werden die Bilder zum ersten Mal der Öffentlichkeit vorgestellt.

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Das „Sammellager“ Theresienstadt existierte von 1942 bis 1945. Die einstige Festung- und Garnisonstadt, ausgelegt für 6.000 Soldaten, war ständig mit rund 60.000 Menschen aus ganz Europa belegt.

 

Weitere Informationen unter ghettospuren.

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