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Brot ist Leben

Was muss in ihr vorgegangen sein? In der Todesstunde, gegen Mitternacht in Berlin-Plötzensee. Wir wissen es nicht. Margarete Elchlepp starb „im Namen des Volkes“ einsam unter dem Fallbeil. Ihr Verbrechen: Sie hatte kurz vor Kriegsende mit Hunderten anderen hungernden Menschen in Berlin-Köpenick Brot verlangt. Die Hausfrau starb am 8. April 1945 um 0.45 Uhr. Genau wie ihr Leidensgenosse Tischlermeister Max Hilliges. Die beiden Köpenicker wurden als „Rädelsführer“ wegen „Landfriedensbruchs, Plünderns und Wehrkraftzersetzung“ enthauptet. Auf Befehl von „Reichsverteidigungskommissar“ Joseph Goebbels. Ermöglicht durch einen fanatischen NS-Ortsgruppenleiter, denunziert von Hitler-treuen Frauen aus der Nachbarschaft. Das grausame Ende des Brotaufstands von Rahnsdorf: Drei Todesurteile, zwei vollstreckt. Eine Frau wurde in letzter Minute zu acht Jahren Zuchthaus begnadigt, weil sie Mutter von drei Kindern war. Hingerichtet für ein Stück Brot, vier Wochen vor dem Ende des Dritten Reiches.

 

Magarete Elchlepp (1899-1945) Ihren Wunsch nach Brot musste sie am 8. April 1945 um 0.45 Uhr mit dem Leben bezahlen. Foto: Familiennachlass Elchlepp

 

Freitag, 6. April 1945. Im beschaulichen Berliner Vorort Rahnsdorf am Müggelsee verbreitet sich am Vormittag ein Gerücht. Brot gibt es nur noch für NS-Mitglieder! Hunderte Köpenicker eilen zu den drei Bäckern des Ortes. Frauen, Kinder, Alte. Zwei Bäcker zeigen Herz und verteilen das Brot zu 50,- Pfennig das Stück. Beim zentralen Bäcker an der Fürstenwalder Allee eskaliert die Situation. Das nazitreue Bäckerspaar weigert sich Brot an die Bevölkerung abzugeben. Der alarmierte Ortsgruppenleiter Hans Gathemann droht mit gezogener Waffe zu schießen, kann aber nicht verhindern, dass Brot den Besitzer wechselt. Es gibt Wortgefechte. Der in der Bäckerei mit Reparaturen beschäftigte Tischlermeister Max Hilliges sagt zum 52-jährigen NS-Funktionär: „Gib den Frauen doch Brot“. Und: „Deinen Rock wirst Du bald ausziehen müssen“.

 

Die ehemalige Bäckerei Deter in Berlin-Rahnsdorf vor der Sanierung. Links unter der Hausnummer ist die noch nicht enthüllte Gedenktafel von 1998 zu erkennen. Sie verschwand nach der Renovierung vor ca. fünf Jahren.

 

Margarete Elchlepp soll in der Menge vorne gestanden haben. Was sie genau getan oder gesagt hat, ist unbekannt. Laut Kripoakten soll sie „vermittelt haben“. Sie habe jedoch „unumwunden zugegeben, Brot genommen zu haben“. Schließlich gelingt es NS-Mann Gathemann, die wütende Menge zu vertreiben. Nun nehmen die Nazis Rache. Frauen aus der Umgebung notieren Namen auf einem Stück braunem Papppapier. Gathemann meldet die Beteiligten der Gestapo. Am selben Abend werden 15 Rahnsdorfer verhaftet und zum Polizeipräsidium am Alexanderplatz gebracht. Am folgenden Tag verurteilt ein Standgericht Max Hilliges (56), Margarete Elchlepp (45) und Gertrud Kleindienst (36) als „Rädelsführer“ zum Tode.

 

Max Hilliges. (1891-1945) Auch der Tischlermeister musste sterben, weil er es wagte, dem NS-Ortsgruppenleiter zu widersprechen. Foto: Gedenkstätte Deutscher Widerstand

 

Drei Stunden nach dem Urteil muss Margarete Elchlepp im Gefängnis Plötzensee ihre letzte Habe abgeben. Ein paar Halbschuhe, drei Taschentücher, zwei Halstücher und ein Wintermantel. Sie kann nicht einmal mehr quittieren. Ein rotes Kreuz wird nachträglich markiert. Es bedeutet Hinrichtung. Der Henker muss in der Nacht extra wegen der „Brotaffäre“ kommen. So dringend war Joseph Goebbels das Abschreckungsurteil, dass er den nächsten regulären Hinrichtungstermin am 10. April 1945 nicht abwarten wollte. In seinem Tagebuch notiert er: „So muss man vorgehen, wenn man in einer Millionenstadt Ordnung halten will. Und die Ordnung ist die Voraussetzung der Fortsetzung unseres Widerstandes.“

 

Das sog. Kammerbuch von Plötzensee. Eintrag Margarete Elchlepp vom 8. April 1945, ca. 0.30 Uhr. Kurz vor der Hinrichtung wurde ihr die letzte Habe abgenommen und genauestens protokoliiert.

 

Viele Jahrzehnte wurde das „Verbrechen gegen die eigene Bevölkerung“ vergessen und verdrängt, so Johannes Tuchel, Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand. Erst 1998 wurde eine (fehlerhafte) Gedenktafel am Haus der Bäckerei angebracht. Diese verschwand nach einem Eigentümerwechsel. Was wir mittlerweile wissen: NS-Ortsgruppenleiter Gathemann wurde laut Moskauer Akten von einem Sowjetischen Militärtribunal zum „Tode durch Erschießen“ verurteilt. Ob das Urteil vollzogen wurde, war bislang nicht zu erfahren. Eine der Frauen aus der Nachbarschaft wurde 1953 in der DDR zu sechs Jahren Zuchthaus „wegen Denunziation“ verurteilt. Sie saß fünf Jahre unter anderem im Frauengefängnis Hoheneck.

Familie Elchlepp sprach nur im engsten Familienkreis über das Schicksal Margaretes. Der heute 83-jährige Dietrich Elchlepp:„Ich erinnere mich als kleiner Bub, wie unsere Familie nur ganz leise über den Tod meiner Tante sprach. Mit Entsetzen in den Augen. Man wollte es einfach nicht glauben.“ Der ehemalige Europarlamentarier aus Denzlingen bei Freiburg schaut mich an: „Mir wird heute noch schlecht. Ich kann mir das richtig vorstellen. Es geht mir unheimlich nahe. Diese Unverhältnismäßigkeit. Für einen Laib Brot, Kopf ab.“ Dietrich Elchlepp ist eine Sache noch wichtig: „Wenn Herr Gauland von der AfD im Bundestag sagt, die NS-Zeit sei in der Geschichte Deutschlands nur ein Vogelschiss gewesen, dann sage ich ganz klar. Das war kein Vogelschiss. Das war die Ermordung der Margarete Elchlepp und vieler Hundertausende anderer.“

 

Margarete Elchlepp 1936. Die gebürtige Brandenburgerin aus Müncheberg war mit dem Steglitzer Textilkaufmann Walter Elchlepp verheiratet. Dieser stellte nach dem Krieg Anträge auf Entschädigung. Sie wurden abgelehnt. Foto: Familiennachlass Elchlepp

 

Margarete Elchlepp aus Berlin-Rahnsdorf wurde 45 Jahre alt. Seit Jahren wird versprochen, eine neue Gedenktafel an der Bäckerei anzubringen.

2 comments

  • Hermann-Josef Emonds

    Die Berichterstattung über die „Brotaffäre“ gestern Abend in den Nachrichten hat mich dermaßen erschüttert, dass ich die Geschichte heute noch einmal im Internet nachrecherchieren musste. Mit fehlen einfach die Worte und ich kann nur für diese beiden hingerichteten Menschen still beten.

  • Jochen Sperber

    Das schreckliche Schicksal der Magarethe Elchlepp beschäftigt seit einiger Zeit unsere Familie. Ein Foto mit der Angabe „Tante Grethe“ wurd in einem Nachlass gefunden. Anfragen unter etlichen Familienmitgliedern brachten kein Ergebni. Wir vermuten, dass es sich um eine Nenntante gehandlet hat. Wir würben gern mehr wissen.

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