Der Mann mit der Maske
Wenige Minuten vor Konzertbeginn. Das Berliner Tempodrom am Anhalter Bahnhof ist rappelvoll. Das Publikum wartet ungeduldig auf den Meister. Kein Wunder. Seine Audienz ist sündhaft teuer. Plötzlich geht ein Spot an. Eine Dame im Business-Kostüm stöckelt auf die Bühne, nestelt an ihrem Headset und bittet routiniert im Stewardessen-Ton um Aufmerksamkeit. „Im Interesse der Künstlers und des Konzerts sind Handyaufnahmen und Fotos unerwünscht.“ Abgang. Die Kapelle legt los. Aus dem Nichts betritt ein Mann mit Hut das Geschehen. Gesicht verschlossen. Ganz in schwarz. Der knarzende Nobelpreisträger singt maskenhaft. Seit 1988 jettet er rastlos mit seiner Never Ending Tour um die Welt. Bob Dylan. Sechzig Jahre Bühnenpräsenz, 600 Songs und jetzt vielleicht etwas mehr als sechzig Minuten in Berlin. Der Mann auf der Bühne hält Distanz. Deutlich mehr als 1 Meter 50. Lange bevor Abstand pandemiebedingt gesellschaftsfähig wurde.
Mit dem Auftaktsong beginnt ein digitales Blitzgewitter. Hunderte Smartphones leuchten. Rowdies beziehen hinter den Boxen Position und zielen mit riesigen Mag-Lite-Taschenlampen auf jeden Knipser. Luftkampf im Tempodrom! Dylan singt unbewegt seine Lieder von Abschied, Hoffnung und Liebesleid. Knockin on heavens door. Seine Songs sind Balladen für die Ewigkeit. Texte, die andeuten, verschlüsseln, verwirren. Forever young. Wie er. Der ewige Lonesome Cowboy aus Minnesota/USA. Im Publikum flitzen Ordner zu Besuchern, die das Knipsen nicht lassen können. Mehr oder wenig rustikal werden sie gestoppt. All along the watchtower. Dylan nuschelt unbeeindruckt seine Songs von der Suche nach Erfüllung und Erlösung. Er formuliert diesen Kinderwunsch von einem guten Ende, an dem sich alles fügt, was bislang schief ging.
Hat der Bote auf der Bühne eine Botschaft? – Antwort Dylan: Warum fragt Ihr mich? Strengt Euren Grips an. Er sei kein Erfinder von Ideen, nur so eine Art Erbe. Das sagte er einmal. Oh, Mister Tambourine Man. Die Texte seien ihm nicht eingefallen, sondern „geisterhaft“ zugetragen worden. In seiner Biografie Chronicles von 2004 schreibt er: „Ganz egal, was man sagt, es ist nur Gestammel. Man hat nie die Zeit, in Ruhe über alles nachzudenken. Zusammenflicken, drüberbügeln, rein damit, und ab geht die Post – so läuft das normalerweise.“ Don´t think twice it´s all allright.
Das Konzert knarrt dem Ende zu. Wieder blitzen Dutzende Handylichter auf. Tapfer hält die Dylan-Crew mit ihren Lampen dagegen. Ein wundersames Spektakel. Spannender als die routiniert heruntergeschnurrten Songs des Meisters. Als wollte Meister Dylan die Zeit aufhalten. Hört lieber zu. Als mit Euren Geräten verwackelte Selfies zu produzieren. Schnell ist die Stunde um. Eine Zugabe gibt es noch. Blowin in the wind. Verjazzt, verfremdet und doch freundlich wiedererkennbar. Keine Version zum Mitschunkeln. Aber zum wundern, dass in diesem alten, weißen Mann so viel an Potential steckt. Einer, der auch im achten Lebensjahrzehnt Lust an Neuem hat. Dylans Blowin in the Wind verweht leise im weiten Rund des Tempodroms. Die Lichter gehen an. Der Meister mit der Maske ist längst entrückt. Das Blitzen der Handys hat aufgehört.
Mein Berliner Dylan-Konzert war 2015. Live und mit Publikum. Happy Birthday zum 80ten, Bob.