Amour fou Teil 4 – Alles wird anders

Das neue Jahr beginnt mit einem Heiratsantrag. Warum nicht? Entscheidend ist, ob die Werbung zum passenden Zeitpunkt kommt. Und ob der oder die Angesprochene Ja sagt.  Es geht um das Wagnis der Ehe mit Zweisamkeit bis „an das Ende unserer Tage“. Das bedeutet in aller Konsequenz eine feste Bindung mit Trauschein. Für supersensible Kopfmenschen wie Ingeborg Bachmann und Max Frisch wäre die Ehe eine heikle Sache geworden. Wer ständig nach Freiheit und Unabhängigkeit strebt, muss eine Bindung rasch als Gefängnis empfinden. Bachmanns Antwort auf den Frisch-Antrag blieb aus. Verheiratet waren die beiden nie. Dennoch zeigt die vierjährige Affäre alle Merkmale der „Banalität einer Beziehung“. Alltag kehrt ein, mit Missverständnissen, gekränktem Stolz und Eifersucht. Aus dem stürmischen Wagnis zum gemeinsamen Glück ergeben sich alsbald komisch-traurige Szenen wie in einer Ehe. Bachmann und Frisch sind sich am Ende in einem Punkt einig: Wir haben es nicht gut gemacht. Ihr nun vorliegender Briefwechsel ist auch 2023 eine Empfehlung.

 

8. Oktober 1959 – Portoverene Max Frisch

Meine geliebte Ingeborg!

Ich sehne mich sehr nach Dir, aber das soll Dich nicht stören in deinem Glück, wieder allein zu hausen; auch dieser Brief soll Dich darin nicht stören. Genieße es, arbeite, erschrick nicht! Du weißt es ja schon, was ich Dir schreiben will. Das Jahr seit Portovenere erscheint mir als ein großer Weg für uns beide; ich stehe, wo ich ohne Dich nicht stünde, und glaube, auch Du stündest anderswo, wenn wir einander nicht gefunden hätten, vor allem (wenn) wir einander nicht schon einmal verloren, und durch den Verlust wiedergefunden hätten, wieder und anders und ohne Zurück.

Ich möchte, dass du meine Frau wirst, Ingeborg, dass wir heiraten und dafür eine Einrichtung finden, die dir deine Arbeit und deinen Selbstsein nicht verhindert, aber eine wirkliche Ehe mit der vollen Verbindlichkeit. Sag mir jetzt nichts; ich werde Dich zum Jahresende fragen, ob Du es auch wollen kannst. Bedenke dabei auch unseren Altersunterschied. Ich weiß jetzt, dass ich es nicht nur will, weil Du es einmal erwartet hast, sondern ich glaube, dass wir jetzt nach diesem Sommer erst im Stande sind zu unserer Ehe.“

 

Das Leben – ein Schachspiel? Ingeborg Bachmann. Frühjahr 1962 Foto: Österreichische Nationbibliothek

 

11. Oktober 1959 – Zürich Ingeborg Bachmann

„Liebster,

ich habe heute deinen Expressbrief von der Sihl-Post abgeholt; beim Wiederlesen jetzt wo ich Dir drauf antworten wollte, bemerkte ich, dass du sagst, ich solle jetzt nicht darauf antworten – also tue ich es nicht. Aber ich danke Dir sehr, sehr. … Ich brauch dich so! Aber wie soll ein Bär das aushalten, so eine Frau ohne Zeitbegriff und mit Schwermut. Ich liebe dich und ich umarme dich fest, fest – Deine Ingeborg“

 

18. November 1960 – Uetikon Ingeborg Bachmann

Liebster Max,

… Ich fürchte, der schwerere Fall bin ich, obwohl es mir auch gut geht. Aber heute morgen (mittag) bin ich wirklich verzweifelt aufgewacht, denn was mit meinem Schlaf los ist, das ist langsam zum Verrücktwerden. Es zerstört mir den ganzen Tag und nachts kann ich doch auch nicht arbeiten. Ich bemühe mich derart zu einer Normalität zu kommen, mit Pulvern, Anstrengungen, aber es wird immer schlimmer.

Gestern bin ich um neun Uhr schlafen gegangen, weil ich müde war, gegen zwei wache ich auf und kann dann trotz aller Tabletten es gegen den Morgen einschlafen und wache betäubt zu Mittag auf. Und wenn ich abends nicht einschlafen kann, dann schlaf ich erst gegen fünf oder sechs Uhr früh ein und das ist zum Verrücktwerden, weil mir bei diesen Nachtwachen nur elend ist, der Kopf zerspringt mir dabei, und am Tag bin ich halbtot. Ach, Bär, ich bin wirklich verzweifelt, zum Arbeiten bleibt so wenig Zeit – und wie soll ich das ändern? Vielleicht hätte ich doch in dieses Institut nach München zum Kreislaufentstören gehen sollen. Something is wrong with me. Aber ich weiß nicht, wo der Defekt zu suchen ist, ob im Körper oder in der Seele. …

ich habe so wenig zu berichten von hier. Drum schicke ich dir nur viele Grüße, Zärtlichkeiten und Aufmunterungen.

Deine Ingeborg.“

 

Max Frisch Rom 1962 Foto: Mario Dondero

 

5./6. Mai 1962 – Rom Max Frisch

Geliebte Ingeborg,

„… und ich hörte, dass es einen Menschen gibt, den Du sehr lieb hast. Ich bat dich um den Namen. Du hast ihn gesagt. Ich habe mich damit abzufinden. Einen Menschen sehr lieb haben, das heißt viel. Du hast in deinem Brief, soweit ich ihn richtig erinnere, recht, wenn Du sagst: Venedig-Vertrag, aber dann ist es halt nicht so. Nicht ein Flirt, nicht eine Nacht, sondern Du ahst einen Menschen sehr lieb. Dass dir das zusteht, ist außer Frage. Es fragt sich nur, wir ich im besten Fall damit fertigwerde; das ist meine Sache. Ich gestehe dir, dass ich darauf nicht gefasst war, darauf nicht. Drum meine tiefe Verwirrung, obschon es früher oder später zu erwarten war. …

Wenn ich mich frage, wohin ich meine Mühe richten soll. Es gibt nur eine Richtung für meine Mühe, die schwerste: der Verzicht. Venedig-Vertrag. Ich sagte dir in der Nacht, dass ich davon Gebrauch gemacht habe. Ich werde älter, ich musste wissen, ob ich noch ein Mann bin. Ich habe, mich an den Vertrag haltend, darüber geschwiegen; ich konnte es, denn ich habe keinen Mensch sehr lieb außer Dir. Es hat uns nicht berührt. …

Ich liebe Dich, Ingeborg, aber ich weiß, dass daraus keinerlei Anrecht abzuleiten ist. Mach´s gut!

Dein alter Max“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.