Sonnenaufgang. Foto adege

„Morgens um vier“

„Still ist die Stadt, die Straßen sind leer. Müde und wach morgens um vier“. Plötzlich setzt die Trompete ein. Sven Regener bläst gegen den Frust morgens um vier an. Ach! Ja. Wie immer? Genau. Element of Crime hat das fünfzehnte Studioalbum veröffentlicht. Krieg, Krise, Klimawandel, hilflose, überforderte Eliten? Lösungen? – Pustekuchen. Alles wankt, nur eines bleibt. Element of Crime. Dieser sehr spezielle Mix aus verregnetem Sonntagmittag, Langeweile, Liebesschmerz, Einsamkeit und Sehnsucht. Was die Babyboomer-Band von vielen anderen Combos im fortgeschrittenen Alter unterscheidet, sind ihre Texte mit Sinn für Romantik und Melancholie, gewürzt mit einem Grundgefühl von Gelassenheit und Ironie. Sinnfrei wie tiefschürfend. Augenzwinkernd wie treffend: „Du bist das Monster, ich bin der Held, es kommt zum Showdown im Sauerstoffzelt der Heilsarmee – Müde und wach morgens um vier.“

 

 

„Wir tauchen unter, wir tauchen auf/ Aus unseren Mündern kommen Schall und Rauch/ Wir haben keine Lösung, wir haben Lieder.“ Lösungen haben die vier Herren nicht, aber eine gelöste Stimmung können sie verbreiten. 1985 wird die Band gegründet, als die Neue Deutsche Welle gerade abebbte. 1987 veröffentlichten sie ihre erste LP „Try to be a Mensch“. Regner sang auf Englisch, auf den ersten Videos gaben sich die vier Neuberliner cool und abgeklärt. So schafften sie es mit dem Song Something was wrong in den ZDF-„Schüler-Express“. Die auf locker-flockig-jung getrimmte Sendung hieß wirklich so. Element of Crime-Mitglieder radelten am „Görli“ vorbei ins „Madonna“. Treffpunkt für Trinker, Aussteiger und Glücksucher jeglichen Alters und Geschlechts. Rauchen war im Doppeldecker-Bus oben noch möglich. Der Reporter fragte Sven Regener nach Vorbildern? Nee, eigentlich nicht, antwortete dieser auf breitestem Bremerisch. Regener. „Wir sind eben Element of Crime“. – Könnt Ihr davon leben? Nein, sagt einer, mein Chef ist beim Sozialamt. Sven ergänzt: „Ich bin Tippse. Ich tippe Forschungsberichte“. Gegenfrage Regener an den nassforschen Reporter: „Kennst du John Cale?“ – Nein. „Dann kannst du gehen!“ John Cale war der Plattenproduzent des ersten Albums in London und Mitglied von Velvet Underground.

 

Sven Regener vor dem „Madonna“ und mein Kameramann René Feldmann in Aktion.

 

„Und in meinem tanz ich dich, aber unscharf, und du hältst eine Axt in den Händen/ Und in deinem tanzt du mich mit einer Katze, und die sagt: Leute, wo soll das enden?“ In den wilden Achtzigern fand auch das legendäre Konzert in der Ost-Berliner Zionskirche statt. Neonazis verprügelten 1987 mit Sieg-Heil-Rufen Band und Besucher. Niemand schritt ein. Keine Polizei half. Doch die „Elements“ machten unverdrossen weiter, besangen den ersten Sonntag nach dem Weltuntergang, oder den legendären Sonntag im April. Zartbittere Songs für manisch-Depressive, hieß es damals in meiner Clique. Egal, wenn schon melancholisch, dann aber bitte mit einem Trompetensolo, schlürfenden Bass und einem schnoddrigen Text von Regener & Co. „Saufbrüder werden ihren Deckel bezahlen/Flugzeuge werden den Himmel bemalen/Und dann kommst du wieder/Und gehst nie wieder fort von hier“, heißt es jetzt wieder, nach vierzig Jahren, im neuen Album „Morgens um vier“. Schöner kann Älterwerden nicht sein.

 

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