Wagners Götterdämmerung
Die Wagner-Gruppe ist in aller Munde. Putins Privatkrieger. Putins Söldner, Sträflinge und Pseudo-Putschisten. Warum eigentlich Wagner? Richtig. Gemeint ist Richard Wagner, der deutscheste aller Komponisten. „So sei des Reiches Kraft bewährt!“, heißt es im dritten Akt von Lohengrin. Solche Sätze gefielen Hitler – und auch Dmitri Utkin, Oberstleutnant der russischen 2. Spezialaufklärungsbrigade. 2014 gründete der Berufssoldat seine Privatarmee mit dem „Kampfnamen Wagner“. Utkin, Sohn eines Georgiers, wuchs bei seiner Mutter in der Ukraine auf. Zielstrebig baute er seine anfangs zehn Mann-Truppe zur Tausende Söldner zählenden starken Privatarmee aus. Sie kämpft im Ukraine-Krieg seit 2014 auf Seiten der Separatisten. 2017 wechselte Utkin zur Oligarchengruppe von Jewgeni Grigoschin, dem heutigen Wagner-Boss.
Wagner-Gründer Utkin ist Anhänger der Ästhetik und Ideologie des Dritten Reiches. Der Russe trägt eine Tätowierung der Waffen-SS und einen Reichsadler mit Hakenkreuz als Tätowierung auf der Brust. Während seiner Einsätze in Luhansk (Donbass) im Rahmen seines Einsatzes im Russisch-Ukrainischen Krieg legte er Wert darauf, dass seine Söldner Helme tragen, die denen der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg ähneln. Folgerichtig wählte er den Kampfnamen „Wagner“, Richard Wagner stand Pate.
Richard Wagners berühmt-berüchtigter Walkürenritt aus dem „Ring des Nibelungen“ dient häufig zur Untermalung für musikalische Kriegsverherrlichung. Hitlers Lieblingskomponist beschreibt im „Ring“ den Machtkampf zweier verfeindeter Systeme. Beide gehen am Ende unter. So liegen Parallelen zwischen Wotans Reich und Putins Welt auf der Hand. Wotan, der oberste Gott zürnt. Er beschließt die Welt untergehen zu lassen, weil er von den Menschen enttäuscht ist. Alles geht schief, alles wird zerstört. Es folgt der Untergang der Götter im Weltenbrand, aus dem am Ende eine bessere Welt hervorgehen soll.
Wagners Walkürenritt mit seinen nach oben jubelnden Fanfaren liefert auch in Francis Ford Coppolas Vietnam-Kriegsfilm Apocalypse Now den passenden Sound für Tod, Zerstörung und Untergang. Gewiss ist: Der Komponist kann sich nicht wehren. Wie sieht die Wirklichkeit heute aus? Bis Ende Juni 2023 sind mindestens neuntausend tote Zivilisten in der Ukraine zu beklagen. Die Zahl der getöteten Soldaten bleibt auf beiden Seiten Staatsgeheimnis, liegt aber sicher mindestens um das Zehnfache höher. Im Ukraine-Krieg gibt es keine Sieger, nur Verlierer.
Putin hat sein Land in ein lupenreines Militärregime verwandelt, gespickt mit hochbewaffneten Privat-Armeen. Eine davon ist die Wagner-Truppe. Nationalismus und Imperialismus liefern das moralische Gerüst, beim zeitgleichen Vordringen einer Gefängniskultur in jede Pore des Alltags. Im heutigen Russland, so Autor Dmitri Gluhkovsky, existiere kein Schutz des Bürgers mehr durch Regeln oder Gesetze. Expansion sei die einzige gemeinsame Idee, die Russland noch zusammenhalte. Willkommen in Putins Wotan-Wagner-Reich. Eine Söldnerarmee mit dem Tarnnamen „Wagner“ marodiert mit dem Kampfnamen von Hitlers Lieblingskomponisten gegen die „Ultrafaschisten in Kiew“. Wie krank ist die Welt, die diesen Unsinn glaubt? Bis zur Götterdämmerung.