Wie ein Vulkan

Als Halldor Gudmundsson seine große Island-Geschichte aufschreibt, tobt die Natur. In unmittelbarer Nachbarschaft bricht ein Vulkan unweit von Reykjavik fünfmal aus. Der Himmel verfärbt sich rot, die Erde öffnet sich nordöstlich des Berges Sylingarfell und spukt kilometerweit rotglühende Lava aus. Ein faszinierend-beängstigendes Naturspektakel, während Gudmundsson an seinem Manuskript feilt. So entsteht „Im Schatten des Vulkans“, eine Reise durch die Literatur Islands. Seit Menschengedenken prägt die Kraft der Natur mit Erdbeben, Vulkanausbrüchen und eiskalten Winternächten die kleine, große Wikingerinsel hoch oben im Norden. Der Sylingarfell-Vulkanausbruch der letzten Monate blieb bislang ohne schwerwiegende Folgen – zum Glück.

 

 

Island ist die größte Vulkaninsel der Welt. Regelmäßig brodelt und explodiert die Erde. Gudmundsson notiert: Naturgewalten prägen Menschen. Existenzkämpfe und „die raue Schönheit beeinflusst unsere Literatur“ grundlegend. Abenteuerlust, Überlebenskampf und unerklärliche Naturphänomene liefern reichlich Stoff für Sagen, Märchen und Legenden. So liegt für ihn der Schluss nahe, dass die Isländer zu den besten Geschichtenerzählern der Welt zählen.

Bereits im 13. Jahrhundert sprudelten in Island Saga-Geschichten und Edda-Lieder wie explodierende Geysire. Zu dieser Zeit produzierte  das kleine Land insgesamt elftausend Seiten erzählende Prosa. Vom skandinavischen Nachbarn Schweden sind sieben Seiten, aus Dänemark keine einzige Zeile überliefert. Die Isländer sind Pioniere der Sprache. Die Wikinger-Nachfahren lieben das Wort und vor allem: eine gute Geschichte.

 

Der Autor im Schatten des Vulkans. Halldor Gudmundsson hat mir versichert, dass die Aufnahme fünfzig Meter von seinem Haus in Reykjavik entfernt entstanden und 100% echt sei. Alle weiteren Fragen bitte direkt an Halldor Gundmundsson.

 

Gudmundsson führt in seinem Buch elegant durch acht Jahrhunderte einzigartige Literaturgeschichte. Er erzählt von Heldenmut und Hungersnöten, von Wal- und Fischfang und vom ersten Nobelpreisträger seines Landes Halldor Laxness. Gudmundsson hat ihm eine wichtige Biografie gewidmet. Der 68-jährige Schriftsteller Gudmundsson übersieht nicht isländischen Größenwahn wie beim Finanzcrash 2007/08. Er beschreibt, wie sich die gebeutelte Insel als Tourismus-Hotspot erholt, wie das einst abgeschottete Eiland in den letzten Jahren Migration und damit neue Impulse für die Literatur erlebt. Die Menschen in Island sind bekannt für ihre Kreativität und Weltoffenheit. Die Vulkaninsel hat weltweit eine riesige Fangemeinde.

 

 

Im Schatten des Vulkans. Erscheint am 20. März 2024

 

Halldor Gudmundsson erzählt, warum es in Island-Krimis mehr Morde in Fjorden als im wirklichen Leben gibt. Zur Erinnerung: Island hat so viele Einwohner wie Bielefeld. Allein Bestsellerautor Arnaldur Indriason hat mit seinem kauzig-schusseligen Polizisten Erlendur mehr als 18 Millionen Krimis verkauft. Auch wenn in Island mittlerweile weniger gelesen wird: Die Literatur lebt, nun als E-Book. Der Streaming-Dienst Storytel zählt über fünfzigtausend Abonnenten, bei 300.000 Einwohnern. Fast jedes dritte Buch erreicht die Leserschaft über den Kopfhörer. „Dank Podcasts sind wir wieder bei der mündlichen Überlieferung gelandet“, schmunzelt Gudmundsson, „von Ohr zu Ohr, wie es einst für die klassische Literatur so wichtig war.“ Geschichten werden heute weitergegeben wie im 13. Jahrhundert, als in Island alles anfing. Im Vulkan-Reich der Wikinger, Sagas, Edda-Lieder, Elfen und Trolle.

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