„Wirds besser?“

„Wirds schlimmer? Leben ist immer lebensgefährlich.“ Einer der vielen Erich Kästner-Sätze, die mich ein Leben lang begleiten. Seit ich lesen und einigermaßen denken kann, ist Kästner mein treuer Weggefährte. Aus seinem „Emil und die Detektive“ habe ich mit acht oder neun Jahren meine erste Kurzgeschichte zusammengebastelt. Mit Bleistift und Radiergummi im kleinen schwarzen Oktavheft, liebevoll „Muttiheft“ genannt. Ich hatte seinen Emil  mehr oder weniger übernommen, nur einige Varianten waren neu und ein paar Namen. Egal. Die Erwachsenen lobten mich, meine Eltern nickten beifällig, meine Tante spendierte ein Eis. Später sah ich ein Fernsehporträt in Schwarz-Weiß. Schriftsteller Kästner saß mit Anzug und Hut in den Bergen auf einer Holzbank mit Tisch. Er schaute Pfeife rauchend in die Ferne und paffte lustige Kringel in den Himmel. Dann kritzelte er ein paar Worte in ein Heft. So wollte ich auch werden. „Das ist das Leben. Das ist der Lauf. – Das ist der Lebenslauf.“

 

Erich Kästner. (23. Februar 1899 Dresden – 29. Juli 1974 München)

 

„Vergesst eure Kindheit nie! Versprecht Ihr mir das!“ Der lange kinderlose Kästner, erst mit sechzig wurde er Vater, bleibt für den Nachwuchs ein Held. Bis heute. Warum? Weil Kinder ehrlich sind, neugierig und weil sie eine Zukunft haben wollen und sollen. Im Fliegenden Klassenzimmer schreibt Kästner einen seiner typischen Merksätze: „Seid glücklich so sehr Ihr könnt. Nur: Macht euch nichts vor und lasst euch nichts vormachen.“  Erich Kästner hat viele Facetten. Als Kinderbuchautor, Verseschmied oder politischer Wachrüttler. Seine Lyrische Hausapotheke half dem jungen Marcel Reich-Ranicki nicht zu verzweifeln.  Seine Lebensgefährtin Teofila Langnas hatte im Warschauer Ghetto das gesamte Büchlein eigenhändig abgeschrieben, verziert mit Bildern und Titelblatt. Teofila und Marcel lasen sich gegenseitig aus Kästners Moral vor: „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“ Literatur als Überlebenshilfe in größter Not.

 

Fabian, 1931 erschienen. Kästner erzählt über das Dilemma eines Moralisten in aufgewühlten Zeiten.

 

Kästner nannte sich selbst einen Moralisten, manchmal auch einen „gekränkten Idylliker“. Als ungebrochen pessimistischer Optimist wollte er stets für das Volk schreiben. Einfach, kurz, klar, ohne Umschweife, auf den Punkt kommend. Der gebürtige Dresdner sah den Ungeist der Nazis aufkommen, textete und dichtete dagegen an. Vergeblich. Seine Bücher wurden verbrannt. Er blieb dennoch im Lande, flüchtete in innere Emigration. 1943 gelang ihm ein Husarenstreich. Unter einem Pseudonym verfasste er das Drehbuch für Goebbels Film und Prestigeprojekt Münchhausen. Der Lügenbaron aus der Feder eines verfemten Dichters? Als der Coup aufflog, erhielt Kästner endgültig Publikationsverbot.

 

 

Kästner sei ein Autor, „der Auswege suchte, selbst wenn wirklich keine zu finden waren“, schreibt die Zeit in einer lesenswerten Würdigung. Ach, Kästner, Held meiner Kindheit, Freund bis heute: Wo bleibt denn heute das Positive? 1930 antwortete er mit einem seiner bekanntesten Gedichte: „Ja, weiß der Teufel, wo das bleibt. Die Spezies Mensch ging aus dem Leime, und mit ihr Haus und Staat und Welt. Ihr wünscht, dass ich`s hübsch zusammenreime und denkt, dass es dann zusammenhält.“

Kästner lesen. Das hilft die Welt besser zu ertragen. Am 29. Juli 1974, vor genau fünfzig Jahren, hat der Mann mit Hut, Anzug und Pfeife unsere Welt verlassen. Der elegante Mann mit Notizheft, den ich als kleiner Knirps so bewunderte. Seine Werke bleiben. Wie schön!

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