Der Bankier

Das wahre Leben spielt sich auf Bänken ab. So der 35-jährige Schriftsteller Patrick Holzapfel in seinem Debütroman: „Hermelin auf Bänken“. Schauplatz: seine Wahlheimat Wien. Nicht das Touristen-Fiaker-Walzer-Wien im ¾-Takt mit viel Inszenierung, Opernball, Burgtheater, Zentralfriedhof-Melancholie und Wiener Schmäh. Nein. Der gebürtige Augsburger Holzapfel schaut auf die kleinen Bühnen des Lebens. Er konzentriert sich auf Sitzgelegenheiten aller Art zwischen Donau und 9. Bezirk. Sein Ausgangspunkt: Wir haben das Sehen verlernt. Sein „Bank“geheimnis: Hinsetzen, entschleunigen, wahrnehmen. Unablässig steuert sein Held, ein Student alle möglichen Park-, Sitz- und Stadtmöbel der Stadt an. Seine Mutter ist gerade verstorben. Er studiert lieber das Leben als unnützes Wissen im Hörsaal. »Je länger man sitzt, desto mehr erfährt man über die Bank. Und zugleich erfährt man auch etwas über Menschen, die auf Bänken sitzen«.

 

Patrick Holzapfel enthüllt Bank-Geheimnisse. Quelle: open mike

 

Als er zufällig einem wundersamen Sandlerkönig im Hermelinmantel begegnet, ist seine Neugier geweckt. Er sucht nach dem geheimnisvollen Obdachlosen und hofft, ihn auf einer der vielen Parkbänke wiederzutreffen. In dichten, poetischen Szenen beschreibt Holzapfel Zufallsbegegnungen. Stille Beobachtungen abseits vom Getöse der Großstadt. Jenseits von Eile und Hektik der „Geradeausmenschen“, die selbst in der Mittagspause unentwegt ihr Smartphone checken. „Seit ich auf Bänken sitze, fällt mir das allgemeine Treiben, das ziellose Kommen und Gehen der Masse umso stärker auf. Niemand scheint je anzukommen, alle und alles befinden sich auf einer ewigen Durchreise.“

Ganz anders der junge Romanheld auf der Suche nach dem, was die Welt zusammenhält, Er bankiert, so nennt er seine Mission. Manchmal muss er sich Stunden lang in Geduld und Zurückhaltung üben. So trifft er einen Mann mit Mops, der die Zeit totschlägt. Plötzlich sitzt ein Thomas Bernhard auf einer Parkbank, die Wiener Ikone aus dem Burgtheater. Natürlich ist er ein Doppelgänger, der munter schwäbelt. Oder die Bankenbekanntschaft Toni. Der frühere Busfahrer trinkt gerne Stamperl, Wienerisch für Schnaps. Das helfe gegen die Kälte auf der Bank und gegen die der Gesellschaft. Ach ja, Manuela. Eine einsame Sechzigjährige, die täglich zwischen Fast-Food-Ketten und Kinemathek pendelt. Jeden Abend schaut sie sich Filme an. Seit zehn Jahren. Im Kino gebe es keine Vergangenheit, erzählt sie, beständig werde Erinnerung übermalt.

 

Patrick Holzapfel hat ein Händchen für melancholisch-skurrile Momente und Menschen. Wie er ein langjähriges Ehepaar schildert, das sich nichts mehr zu sagen hat, ist echtes Kopf-Kino. Der Mann mit Dreitagebart, glasigem Blick und gebückter Haltung. Sie mit rosa Hamsterbäckchen, großem Mund und schluchzend. „All die Vergeblichkeit! All die mühevollen Jahre der Liebe! Und dann, an deren Ende, sitzt man auf einer Bank.“ Endstation Sehnsucht? Abstellgleis Bank? Da beginnt die Frau ein russisches Lied zu singen. Alles ändert sich. Der Mann tanzt, die Frau singt, bis beide erschöpft auf die Parkbank sinken. Sie prosten sich zu. „Ich stoße heimlich mit ihnen an. Von meiner Bank aus. Auf das Glück“, notiert Bankier Holzapfel.

Die Bank sei ein guter Freund. Sie beschwere sich nie, heißt es bei Patrick Holzapfel. Er widmet seine einfühlsamen Wiener Bankgeschichten dem spanischen Dichter Miguel Hernandez. „Wir haben niemand gesehen, so blind sind wir vor lauter Sehen.“ Machen sie doch mal selbst den definitiven Bank-Test. Es gibt viel zu entdecken. Eine gelungene Anleitung finden Sie bei Patrick Holzapfel. Hermelin auf Bänken.

Zum Schluss ein musikalischer Gruß an die Parkbank.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.